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Im "Großen Woog", einem Badesee mit langer Geschichte mitten in Darmstadt, wird eine zum Teil bereits skelettierte, mit einem Betonstück beschwerte männliche Leiche gefunden. Es gibt nur wenige Hinweise auf ihre Herkunft, unter anderem einen münzförmigen Kettenanhänger mit einer eigenartigen, kaum zu entziffernden Beschriftung und Zahnplomben aus einem Material, das zur Zeit des Zweiten Weltkriegs verwendet wurde, allerdings nicht in Deutschland. Auch andere Indizien sprechen dafür, dass der im Woog Aufgefundene während des Krieges zu Tode kam, möglicherweise im Zuge der vernichtenden Bombardierung Darmstadts 1944.
Hauptkommissar Karl Rünz, ein solider Polizist mit einem nicht sonderlich gut funktionierenden Privatleben und einer seltsamen Phobie, die sich in panischer Angst vor einer eventuellen Aufnahme von Krankheitskeimen äußert, ist zunächst wenig angetan von den Wendungen, die der Fall nimmt. Aber als sich eine Frau findet, deren Kenntnisse über die im Zweiten Weltkrieg eingesetzten Flugzeuge der Royal Air Force vermuten lassen, dass der Tote zur Besatzung eines so genannten Mosquito gehörte, wird die Angelegenheit auch für Rünz interessanter, zumal ihm unvermittelt ein fachkundiger Mitstreiter zur Verfügung steht, der Rünz? Art zu ermitteln dem aufgesetzt-professionellen Geschwafel von dessen wichtigtuerischem Chef vorzieht.
Mit der Zeit zeichnet sich eine dramatische und traurige Geschichte ab, die bis in die Gegenwart fortwirkt.
Christian Gudes Debütroman lebt vor allem von der Figur des kauzigen Hauptkommissars, dessen von beiden Seiten mit einer gewissen sadistischen Lust weiter attackierte Ehe im Grunde nur noch aus - überwiegend unangenehmer - Gewohnheit besteht. Rünz ist, wie er selbst weiß, "Homo Rünz" und könnte in ähnlicher Form aus Max Frischs Feder stammen. Die anderen Charaktere kontrastieren intensiv mit dem Protagonisten, sofern ihre Rollen das zulassen. Spannungsgeladene Dialoge zwischen Rünz und seinem Chef oder manchem Kollegen und Mitarbeiter enthalten genau die richtige Dosierung eines mit Sarkasmus unterlegten Humors, der sich auch in treffend skizzierter Situationskomik äußert. Sympathisch eingebundener Lokalkolorit verleiht dem Roman zusätzlichen Charme, sodass Freunde von Regionalkrimis auf ihre Kosten kommen. Eine Erläuterung militärischer Begriffe sowie lokaler Eigennamen und Ausdrücke findet sich im Glossar.
Die Auffindung der Leiche und ihre Bergung sowie der Beginn der Ermittlungen werden packend geschildert. Für an der jüngeren Geschichte Interessierte wird die Lektüre auch im Anschluss nicht langweilig, wenn es vor allem um die "Arbeit" von Bomber Command in Deutschland und den Feuersturm von Darmstadt geht, einen der verheerendsten Einsätze der Royal Air Force. Allerdings ist der Krimi-Charakter in diesem Abschnitt wenig spürbar. Gude schildert die Historie immer politisch korrekt und versetzt sich recht gut nachvollziehbar in die Situation damaliger Fliegerbesatzungen.
Wie es sich gehört, geht der Roman schließlich fulminant zu Ende und erfüllt dann auch wieder alle Erwartungen an einen Krimi.
Der Autor hat eine bemerkenswerte Rechercheleistung erbracht, und es erstaunt, dass der Krimi angesichts der Fülle von eingebrachtem Hintergrundwissen nicht zu einem trockenen Sachbuch geworden ist. Dennoch ist er insgesamt an eine eher eng gefasste Zielgruppe gerichtet - Leser, die sich für die lokale Geschichte oder Militärluftfahrt interessieren, dürfen der Bewertung definitiv einen Stern hinzufügen. Zum guten Eindruck trägt auch der angenehm zu lesende, knappe, Ausschweifungen meidende Stil von Christian Gude bei. Etwas irritierend wirkt allerdings die unerklärliche Abneigung des Autors oder Lektors gegen den korrekten oder vielmehr konsequenten Gebrauch der Kommasetzung.
Insgesamt ist "Mosquito" ein gut gelungener und nicht nur Lesern aus dem Rhein-Main-Gebiet zu empfehlender Kriminalroman, eine interessante und spannende Mischung aus Regionalkrimi und, sofern man angesichts einer nur gut sechzig Jahre zurückliegenden Handlung die Bezeichnung verwenden mag, historischem Krimi. Karl Rünz hätte durchaus das Format für den Protagonisten einer Krimi-Reihe. Vielleicht liest man sich ja einmal wieder?