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Erwin und Ida, ein junges Liebespaar, leben mit ihren Familien in einem jüdischen Getto in der Bukowina. Trotz der harten Arbeit und der berüchtigten "Akcjas" ihrer Bewacher haben sich die Menschen im Getto eingerichtet und geben sich einer trügerischen Sicherheit hin, fertigen sie doch in einer Fabrik hochwertige Uniformen an, die im Krieg dringend gebraucht werden. Herr und Frau Honig, ein aufgeschlossenes, gastfreundliches Ehepaar, verwandeln ihren Keller nachts in ein Café, in dem sich die Gettobewohner treffen und miteinander diskutieren können.
Als Ida schwanger wird, beschließt das Pärchen, in die Karpaten zu fliehen. Doch alle, die sich in früheren Zeiten als Fluchthelfer angeboten haben, springen ab. Eines Tages wird Erwin abgeholt und in ein Arbeitslager am Bug gebracht. Unter dem zynischen Lagermotto "Arbeit macht frei. Arbeit macht rein" schleppen er und seine Kameraden bei minimaler Verpflegung und unter denkbar elenden Bedingungen Baumstämme zum Bau einer Brücke. Bald treten unter den Lagerinsassen kaum erträgliche Spannungen auf, die auch die Mehrheit der Solidarischen nicht immer in den Griff bekommt. Immer mehr Verzweifelte springen in den eiskalten Bug, um den täglichen Misshandlungen und Demütigungen, dem Hunger, der Krankheit und der Kälte zu entrinnen. Erwin erhält neuen Lebensmut, als Herr Honig mit einem Gefangenentransport im Lager eintrifft und von seinen Lieben berichten kann. Doch nach und nach drückt ihn der Lageralltag erneut nieder. Mit jedem, der zum Sterben in den Fluten des Bugs versinkt, stirbt auch etwas in den noch Lebenden ab.
Überraschenderweise gibt es aber immer wieder Einzelne, die über sich selbst hinauswachsen, getragen von einem unerschütterlichen Glauben, und der Gemeinschaft beim Überleben helfen.
Dann rückt die Rote Armee unaufhaltsam vor. Eines Tages verschwindet nach einer spektakulären Aktion die gesamte Bewachungsmannschaft des Lagers. Doch die abgestumpften Gefangenen wissen mit der unerwarteten Freiheit zunächst nichts anzufangen und haben keine Ahnung, wohin sie sich wenden sollen. Sie richten sich in den besseren Baracken und mit den Vorräten der Bewacher ein und warten den Frühling ab. Indessen sucht sich der Lagerkoller neue Opfer, selbst unter den bisherigen Stützen der kleinen Gemeinschaft.
Aharon Appelfeld, der selbst in einem Getto der Bukowina lebte und überlebte, hat in seinen Romanen immer jüdische Schicksale thematisiert. In diesem Buch schildert er erstmals das Lagerleben in all seinen Facetten. Die willkürlichen Schikanen, Übergriffe und allgegenwärtigen Morde gehören ebenso dazu wie die unterschiedlichen Manifestationen des Lagerkollers, der sich auch in Aggressionen zwischen den assimilierten, agnostischen oder atheistischen Insassen, von denen viele die jüdische Kultur verabscheuen oder leugnen, und den tief religiösen Juden manifestiert - ein in der "Lagerliteratur" eher selten ausgeführter Aspekt.
Appelfeld zeichnet seine Figuren und Handlungen in dunklen, aber gedämpften Farben, die dennoch seine Botschaft unüberhörbar verkünden. Dadurch, dass er es der Vorstellungskraft des Lesers überlässt, die Folgen einzelner Gräuel, die Schicksale von Flüchtigen und manche Untiefen im Seelenleben seiner Charaktere weiter zu ergründen, bezieht der sein Publikum zwangsläufig in die Geschichte ein, deren offenes Ende bestürzt, nachdem schon die Erlangung der Freiheit keine grundsätzliche Erleichterung der Situation der Überlebenden herbeigeführt hat. Denn diese haben sich zu sehr an die unerbittlichen Zwänge im Lager gewöhnt, als dass sie zu eigenständigen Handlungen in der Lage wären. Auch hat sich eine misstrauische Grundhaltung in ihnen breit gemacht. Auf diese Weise vermittelt der Autor den Nachgeborenen die Traumata der Holocaust-Überlebenden, die sich durch eine Schilderung des Lagerlebens allein nicht erschließen.
Ganz wunderbar entwirft Appelfeld jene charismatischen Charaktere, in die sich bislang einfache, unauffällige Menschen unter dem gewaltigen Druck der Gefangenschaft plötzlich verwandeln können, die zum Rückgrat der gesamten Gemeinschaft werden.
Aharon Appelfeld schreibt in einem schlichten und angenehmen Stil. Er erhebt keine Anklagen. Das ist auch nicht nötig; sein eng an den Tatsachen orientierter Roman spricht für sich und bildet ein eindringliches Mahnmal wider Rassismus, Diskriminierung und jede andere Art von Ausgrenzung.