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Margaret Lea liebt nichts so sehr wie Bücher. Da ihr Vater eine Buchhandlung betreibt und sie bei ihm arbeitet, kann sie von morgens bis abends ihrer großen Leidenschaft frönen, nämlich dem regelrechten Verschlingen von Büchern. Ganz besonders haben es ihr Biografien angetan, überhaupt Literatur über das Leben toter Menschen; in aller Bescheidenheit kann sie auf eine kleine Reihe an Veröffentlichungen über dieses Thema zurückblicken.
Die zurückhaltende, stille Margaret ist nun mehr als überrascht, als sie einen Brief von Großbritanniens bekanntester und beliebtester lebenden Schriftstellerin Vida Winter erhält. Diese bittet sie darum, die Memoiren der alten Dame niederzuschreiben - eine noch größere Überraschung, denn es gibt Dutzende von Biografen, die Mrs. Winter ihre Vergangenheit zu entlocken suchten und doch stets nur unwahre Geschichten von ihr zu hören bekamen. Und nun will diese Mrs. Winter, die nie etwas über ihr Leben erzählen wollte, ausgerechnet Margaret als ihre Biografin? Irgendetwas kann da nicht stimmen. Margaret bezweifelt die ehrlichen Absichten der alten Schriftstellerin, doch deren Romane fesseln sie beim ersten Lesen so sehr, dass sie wider besseren Wissens zu ihr reist. Vor allem ein Buch mit Erzählungen hat es ihr angetan, denn obwohl der Titel "Dreizehn Geschichten" lautet, finden sich nur zwölf darin.
Vida Winter erweist sich als beeindruckende, wenn auch kalte Persönlichkeit. Die beiden Frauen nähern sich nur langsam an; und obwohl sich Margaret nicht wohl fühlt, lauscht sie Mrs. Winters Geschichte mit wachsendem Interesse. Denn es ist eine dunkle Geschichte, eine Geschichte voller Hass und Gewalt, voller Schatten und Schrecken. Sie erzählt die Geschichte einer Familie, die mit ihren Geheimnissen und Schandflecken leben musste. Und schließlich erzählt sie ihre eigene
Kaum zu glauben, aber wahr: "Die dreizehnte Geschichte" stellt Diane Setterfields Romandebüt dar. Dass dies ihr erster Roman sein soll, mit dem man oftmals die ersten Gehversuche eines Autors verknüpft, spürt der Leser zu keinem Zeitpunkt. Sofort fühlt man sich in die Ich-Erzählung Margarets hineingezogen und fiebert von der ersten Seite an mit. In vollendeter, niveauvoller Erzählweise und mit perfekter Wortwahl zieht Setterfield den Leser in ihren Bann. Ob es die teilweise eigenwilligen und liebevoll gezeichneten Charaktere sind oder die spannende und teils düstere Geschichte, beides harmoniert und stellt eine nicht näher definierte, vergangene Zeit so realistisch dar, dass es leicht fällt, sich hineinzuversetzen und dem Geschehen zu folgen. Und über allem steht stets die Frage: Erzählt Mrs. Winter die Wahrheit? Margaret als Identifikationsfigur, die mit dem Leser gemeinsam die dunkle Vergangenheit der Schriftstellerin erfährt, ist ideal konzipiert, denn die unscheinbare, fast langweilige Frau hat selbst ein Geheimnis, das im Laufe der 525 Seiten gelüftet wird und das einen gewissen Einfluss auf die Ereignisse nimmt. Dabei werden nicht einmal alle Geheimnisse bis zum Ende aufgedeckt, was mutig, aber durchaus passend ist und eine bittere Tragik vermittelt.
Es wäre ein großartiger und fulminanter Auftakt einer interessanten Schriftstellerin, gäbe es da nicht eine Sache, die an diesem wundervollen Roman stört. So mancher Handlungsfaden der Geschichte, beileibe nicht jeder, löst sich gegen Ende hin in Wohlgefallen auf, sprich teilweise gibt es ein Happyend, was nicht einmal zu viel verraten ist. Jedoch wirkt jene Art von Happyend, die sich in Setterfields Romans findet, wie ein Ausgleich - eine Art Wiedergutmachung - für das Vorangegangene. An dieser Stelle scheint es, als weiche Setterfield von ihrer bisher konsequenten Linie der Erzählung ab, um dem Leser immerhin etwas Positives zu präsentieren.
Würde Setterfield nicht gegen Ende den empfindsameren Lesern mit versöhnlichen Eingeständnissen gegenüber den tragischen und düsteren Ereignissen ihres Romans entgegenkommen, wäre ihr ein Romandebüt geglückt, das nicht besser hätte sein können. So bleibt eine starke Familiensaga mit dunklen Abgründen und einem niveauvollen Sprachstil, die trotz ihrer leichten Schwächen im Abgang nur empfohlen werden kann.