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Von den Allen-Brüdern und ihren nervtötenden Freundinnen um das Vergnügen des Schlittenfahrens gebracht, stapft Emily kochend vor Wut durch den Schnee nach Hause. Unterwegs trifft sie auf Marcus, einem Jungen aus dem Nachbardorf KingÂ’s Lynn, der sich im Schnellballwurf gegen die örtliche Burg betätigt. Schnell kommt man ins Gespräch, und es zeigt sich, dass Marcus ein wahrer Kenner mittelalterlicher Burgen und Gepflogenheiten ist. Seine Faszination für Belagerungs- und Gruselgeschichten findet Emily fast schon makaber, obwohl er sonst ganz nett zu sein schein. Als Simon Allen, der jüngste der Allen-Brüder hinzukommt, um sich für den Ärger von eben zu entschuldigen, finden die drei bald Gelegenheit sich eingehender mit der Burg zu befassen. Tatsächlich haben Emily und Simon eigentlich kein Interesse an der uralten Festung, durch die im Sommer regelmäßig Führungen angeboten werden. Doch durch Marcus Begeisterung angesteckt, wagen auch sie sich näher an den Bau, als sie eigentlich sollten - und werden schließlich von Harris, dem Hausmeister, verjagt.
So provoziert und herausgefordert, macht Emily einen kühnen Vorschlag: In die Festung eindringen und eine Nacht unter HarrisÂ’ großer Nase auf der Burg verbringen. Zögernd stimmen auch Simon und Marcus der Idee zu, obwohl sie noch nicht sicher sind, wie das Kunststück zu bewerkstelligen sein soll. Und vor allem, wie sie sich unverdächtig dem Einflussbereich ihrer Eltern entziehen können. Denn Simon hat es als jüngster seiner großen und verrufenen Familie nicht leicht; seine ältesten Geschwister sitzen hinter Gittern, der Vater arbeitslos auf der Wohnzimmercouch und selbst seine große Schwester benutzt ihn bei jeder Gelegenheit als Fußabtreter. Auch der Halbwaise Marcus scheint ein eher kompliziertes Verhältnis zu seinem Vater zu haben und ist sich nicht sicher, ob er ihm lange genug entkommen kann für so ein Abenteuer.
Doch nachdem die Idee nun einmal im Raum steht, will natürlich keiner kneifen - insbesondere nicht der mittelalterverrückte Marcus, der schon lange von "seiner eigenen Burg" träumt. Eifrig werden Pläne geschmiedet, Ausreden zurechtgelegt und ein ausgeklügelter Einbruchsplan entworfen. In klirrender Kälte und zu später Stunde dringen die Teenager in die Festung ein und machen sich einen gemütlichen Abend. Viel zu spät erwachen sie aus ihrem waghalsigen Abenteuer und packen hastig und schlechtester Stimmung ihren Kram zusammen und machen sich auf den Heimweg. Doch das gemeinsam Erlebte zieht Emily und Simon schon bald wieder zurück zur Burg, wo sich ihr neuer Freund geradezu zu verbarrikadieren scheint. Seinem zerschlagen Gesicht und seiner eigenen Schilderung nach, hatte der nächtliche Ausflug für Marcus daheim drastische Folgen. Sein Vater habe ihn zusammengeschlagen und er sich deshalb zur Flucht entschlossen. Ausgerechnet an dem Ort, wo sich schon vor Jahrhunderten Menschen vor ihren Feinden einschlossen will jetzt auch Marcus Zuflucht suchen. Bevor Simon und Emily auch nur entscheiden können, was sie von der Sache halten sollen, rücken die Belagerer an: Hausmeister Harris, Marcus Vater, die Polizei und das Jugendamt stehen schon bald vor dem Tor - und sind nicht zu Scherzen aufgelegt.
Seine Bartimäus-Trilogie machte den Engländer Jonathan Stroud zum international gefeierten Bestsellerautor. Auch in Deutschland war die dreiteilige Geschichte um ein magisches Großbritannien, in dem Zauberer Dschinns und Dämonen beschworen, ein Riesenerfolg, und machte den Namen des Autors zu einem Synonym für gute Jugendfantasy-Unterhaltung - im Harry Potter-Zeitalter praktisch das größtmögliche Lob, das man einem Genre-Autor machen kann.
So verwundert es nicht, dass die deutschen Verlage auch nachhaltig von diesem Namen profitieren wollen. Denn was bislang in Deutschland kaum einer wusste und noch weniger interessierte, Bartimäus ist bei weitem nicht Strouds erster Roman. Im Gegenteil, eine ganze Reihe früherer Bücher lagen bislang nur - oder fast nur - in englischer Sprache vor. Zumindest eine Übersetzung ins Deutsche stand in allen Fällen noch aus. Also schlagen die Verlage nun zu. Während sich der Pestalozi-Verlag Jonathan Strouds Erstlingswerk "Drachenglut" sichern konnte, legt der deutsche Bartimäus-Verleger cbj jetzt mit "Die Eisfestung" nach - dem zweiten Roman des Autors.
Doch wie schon in "Drachenglut" wird auch hier eins deutlich: Es gibt einen Grund, warum Jonathan Stroud erst mit Bartimäus der Durchbruch gelang. Nicht, dass er zuvor völlig unfähig gewesen wäre, aber der Unterschied zwischen seinem frühen Schaffen und seinen späten Erfolgen ist so groß wie Tag und Nacht. Das gilt für "Die Eisfestung" noch mehr als für "Drachenglut". Vielleicht ist es der Verzicht auf fantastische Elemente, der Stroud hier noch daran hindert, sein Potenzial zu entfalten. Tatsache ist, von nichts scheint es in der Eisfestung genug zu geben: Nicht genug Spannung oder Dramatik, nicht genug überraschende Wendungen, nicht die großen emotionalen Momente, die es eigentlich geben sollte und - ebenfalls wie schon in Drachenglut - nicht das würdige Ende, das man doch erwarten kann. Die Geschichte braucht zu lang, um in Gang zu kommen, die Figuren wachsen einen zu keiner Zeit besonders ans Herz und das Geschen ist ab einem bestimmten Punkt einfach zu vorhersehbar.
Um das klarzustellen: Schlecht ist was anderes. Wenn auch beileibe kein Meisterwerk, braucht sich auch Jonathan Strouds zweiter Roman nicht zu verstecken. Guter Durchschnitt bleibt guter Durchschnitt, nicht weniger, aber trotz des guten Namens auch nicht mehr. Denn darüber sollte sich jeder potenzielle Leser schon im Klaren sein: Ohne den Erfolg von Bartimäus, wäre "Die Eisfestung" nie in Deutschland erschienen.
Jedenfalls hat sich der Verlag um eine wirklich schöne Aufmachung bemüht, die düstere und spannende Unterhaltung zu versprechen scheint. Erwartungsgemäß wird auf den Innenseiten des Schutzumschlags mit dem Autor und seinen Leistungen geworben. Recht interessant sind die Karten von Gina Stroud, die den Handlungsort skizzieren.
Fazit: Ein früher Roman eines heute erfolgreichen Autors, aus keinem anderen Grund übersetzt als dem Erfolg seiner anderen Bücher. Für sich allein ist "Die Eisfestung" weder spannend noch unterhaltsam genug, um sich groß zu verkaufen. Nicht wirklich schlecht, aber auch nicht richtig gut.