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Kerim Pamuk hat mit "Alles roger, Hodscha?" sein zweites Buch vorgelegt. Es enthält zehn Kurzgeschichten, die von Menschen in Hamburg handeln, deren Leben eine unverhoffte Wendung erfährt: Deutschtürken, geborene Deutsche und ein Kurde.
Zu nennen wäre beispielsweise Kemal, der nach den Irrungen und Wirrungen eines Studiums sein Lebensglück als Inhaber eines kleinen Zeitungskiosks, "Zum Kemal", findet, und über den mit einer flüchtigen Begegnung plötzlich die große Liebe hereinbricht. Oder der attraktive Hakan aus der nächsten Geschichte, dem ein windiger Agent eine Rolle in einem Film beschafft unter der Bedingung, dass er sich einen kleinen Höcker von der Nase entfernen lässt - und der Film gehört einem Genre an, mit dem Hakan nun wirklich nichts zu tun haben will.
In der Geschichte "Muffkopp" blickt der Autor auf seinen in der Türkei gebliebenen Großvater zurück, der ihn über Jahre aufgezogen hat. In einer anderen Geschichte gelingt es Jürgen, einem klassischen gehemmten Versagertyp, zum ersten Mal, eine innere Grenze zu überschreiten und eine Erniedrigung nicht auf sich sitzen zu lassen.
Die Geschichte, die auch dem Buch den Titel gegeben hat, handelt von einem in Deutschland aufgewachsenen und in einer an die deutsche Lebensart angepassten Familie lebenden fünfzehnjährigen Deutschtürken, Engin, dessen Vater Irfan plötzlich, wohl im Rahmen einer Midlife-Crisis, von ihm verlangt, dass er eine Koranschule besucht, um beten zu lernen. Keine noch so verzweifelten Einwände gelten, jeden Tag muss Engin zu einem Hodscha in die Koranschule. Mit dem religiösen Lehrer verscherzt es sich Engin schon am ersten Tag, als er, statt zur Begrüßung dessen Hand zu küssen, flapsig fragt: "Alles roger, Hodscha?" - Nichts ist roger, vor allem aber will Engins Vater einfach nicht glauben, dass der Hodscha einen Lebensstil predigt, der auch dem Leben von Irfan jeden Inhalt nehmen würde.
Und natürlich sollte Reza nicht unterschlagen werden, ein Deutsch-Kurde, der während der Anreise in den Nordirak zum Dreh eines unter seiner Regie hergestellten, preisgekrönten und doch immerhin später von 3.211 Zuschauern besuchten Films von türkischen Grenzlern festgehalten und zum Opfer eines ausgemacht grausamen Scherzes wird.
Die Kurzgeschichten porträtieren Großstädter mit ihren ganz persönlichen Problemen und in ihrem angestammten oder selbst gewählten Umfeld, zum Teil ausgeglichene junge Menschen auf der Suche nach ihrem Weg wie Kemal, der lebensfrohe Engin und der etwas naive Hakan, aber auch andere, die tief sitzende seelische Verletzungen mit sich herumschleppen und ihnen zumindest in einem Fall schließlich erliegen - oder, wie Jürgen, durch eine spontane Handlung, durch jähe Auflehnung einen Heilungsprozess einleiten.
Humorvoll verfasst, doch voller tiefer Hintergedanken und psychologisch gut beobachtet und gedeutet ist die Geschichte von Engin, seinem Vater und dem Hodscha. Hier tritt die tiefe Kluft zwischen den assimilierten Türken, deren Söhne rappen oder in Vorortmannschaften Fußball spielen und die selbst ("natürlich" Bier trinkend) keine Fernsehübertragung der Spiele ihres türkischen Lieblingsvereins auslassen, und ihren streng gläubigen Landsleuten, die Miniröcke, Bier und Fußball als Teufelswerk verfluchen, deutlich zutage. Der liberal erzogene Engin kann mit der Koranschule, in der körperliche Züchtigung Haupterziehungsmittel ist, überhaupt nichts anfangen.
Auch die heikle kurdisch-türkische Frage greift Kerim Pamuk sowohl unter Einbeziehung des bedrohlichen Aspekts und der Diskriminierung als auch auf witzige, sogar groteske Weise auf. Allerdings bleibt hier klar erkenntlich, dass Pamuk Türke ist. Ein Kurde würde die Geschichte vermutlich als Entwürdigung empfinden, obgleich sie eigentlich vor allem die Unsinnigkeit gegenseitiger Vorurteile aufzeigen soll.
Sicherlich am persönlichsten gehalten ist der Rückblick auf die letzten Tage des Großvaters. Diese Geschichte hat eindeutig einen intensiven autobiografischen Bezug und zeigt auf, wie stark Familienbande sein können und sein sollten, und dass sie zudem vor allem stark machen.
In den Geschichten zeigt sich ein sehr breites Spektrum an authentisch dargestellten Charakteren, Emotionen und Situationen, das auszuarbeiten nur einem trotz seines charmanten Sinns für Komik besonders einfühlsamen Autor gelingen kann. Unter den häufig mit ausgesprochen sarkastischem Humor geschilderten Episoden liegt fast immer eine schwer fassbare Traurigkeit und Düsternis, die dem Leser das Lachen im Hals ersterben lässt.
Das Buch ist unbedingt zu empfehlen.