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 Nach dem bewaffneten Kampf

Ehemalige Mitglieder der RAF und Bewegung 2. Juni sprechen mit Therapeuten über ihre Vergangenheit


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Anspruch
Preis - Leistungs - Verhältnis


Sieben Jahre lang treffen sich ehemalige Mitglieder der RAF, der Bewegung 2. Juni, Frauen aus der sogenannten "Unterstützerszene" und Psychotherapeuten. Nicht alle bleiben vom Anfang bis zum Ende dabei. Gleich zu Beginn verläßt ein großer Teil der ehemaligen RAF-Mitglieder die Gruppe. Von den Therapeuten bleiben nur zwei, beide Psychoanalytiker, bis zum Schluss. Der Ausgangspunkt der Treffen ist die Traumatisierung durch die Haftbedingungen und Isolation. Im Verlauf zeigt sich aber, dass die Strukturen der RAF im mindesten genauso traumatisierend waren. "Wir waren selber nicht fähig, untereinander zu kommunizieren", schreibt Karl-Heinz Dellwo, der 1975 an der Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm beteiligt war.

Das Buch ist kein Verlaufsprotokoll der Treffen. Alle (auch die Therapeuten und die Frauen aus der "Unterstützerszene"), die bis zum Schluss geblieben sind, haben einen eigenen Beitrag für das Buch geschrieben. Diese Beiträge sind ganz unterschiedlich. Einige sind dreißig Seiten und länger, andere umfassen nur um die fünf Seiten. Die Therapeuten beschreiben ihre eigenen Widerstände und Ängste in der Arbeit mit der Gruppe, die Schwierigkeiten der Kommunikation aller untereinander, die Verworrenheit der Beziehungen. Sie versuchen von Abgrenzungen und Entwertungen der Gruppenmitglieder untereinander zu gegenseitiger Akzeptanz zu gelangen, zu der Erkenntnis der Subjektivität und Verschiedenartigkeit des Anderen und von dort aus zu konstruktiver Auseinandersetzung. Ihr Blick ist der Blick von außen auf Strukturen und Beziehungsgeflechte, die sie selbst erst im Laufe der Zeit erkennen.

Die ehemaligen Gefangenen schreiben viel über Beziehungen beziehungsweise Beziehungslosigkeit, über das Scheitern der RAF und ihrem eigenen Weiterleben "in Bedingungen, die man von Grund auf bekämpft hat." (Knut Folkerts) Sie reflektieren über die Strukturen der RAF, über sich selbst darin, darüber, "das lebende Dementi dessen zu sein, wofür man zu kämpfen behauptet - Identität, Souveränität, Authentizität." (Roland Mayer)
Ihre Schuld am Tod von Menschen, ihre Verantwortung daran, die wird erwähnt, wenn auch selten explizit. Und selbst dann nicht im Hinblick auf die Opfer, sondern im Hinblick auf sich selbst beziehungsweise die RAF. So schreibt Dellwo, "dass wir von keiner Gegengesellschaft oder Gegenmoral reden können, wenn dies die Möglichkeit von Geiselerschießungen und damit die vollständige Verdinglichung von Menschen beinhaltet." Über Schuld, Scham oder Reue spricht er nicht und auch sonst niemand.
Die ursprünglichen Ziele der RAF hin zu neuen Strukturen, zu neuen Beziehungen, zu Freiheit und Emanzipation jedes Einzelnen werden von allen noch immer als ehrenwerte Ziele gesehen. Nur der Weg, der dahin führen sollte, der führte immer weiter von den angestrebten Zielen fort, hin zu einer Entfremdung von sich selbst. Nicht nur Haft und Isolation haben traumatisiert, sondern auch und vor allem der bewaffnete Kampf und die darauf aufbauenden Strukturen der RAF.

Das Buch bietet elf Einsichten in die Prozesse der über sieben Jahre aufrecht erhaltenen Treffen und darüber hinaus in Prozesse, die in der RAF abgelaufen sind. Dies sind ganz individuelle Einsichten, ganz persönliche Gedanken, Gefühle und Erkenntnisse. Es kommen ehemalige Mitglieder der RAF/Bewegung 2. Juni zu Wort. Es kommen die Therapeuten zu Wort. Und es kommen die sogenannten "Unterstützerinnen" zu Wort, die jahrelang die RAF und ihre Gefangenen unterstützt haben, aber nie in die Illegalität gegangen sind. Als Leser empfindet man manches als unzureichend oder zu abstrakt und unpersönlich besprochen. Das kann man sicher kritisieren, tut dem Buch als Dokument einer Geisteshaltung, einer Entwicklung und auch eines Stückes Zeitgeschichte jedoch keinen Abbruch. Zudem wird vieles auch differenziert und ehrlich dargestellt. Und so ist das Fehlen einer eindeutigen persönlichen Anerkennung von Schuld eben auch als ein solches Fehlen zu lesen, als etwas, das offen bleibt, etwas, das fehlt. So, wie vieles offen bleibt, weil die Treffen zwar im Jahr 2003 beendet wurden, aber die Auseinandersetzung der Einzelnen mit sich und ihrer Vergangenheit eben nicht abgeschlossen ist.

Wer eine Entschuldigung in diesem Buch sucht, wird sie nicht finden. Auch keine Abkehr von den ehemals angestrebten Zielen. Das Buch bietet Einsichten in individuelle Prozesse. Immer ist auch der Leser gefordert seine eigene Haltung zu hinterfragen und zu reflektieren, die Personen, die zu Wort kommen, als Individuen wahrzunehmen, die eben widersprüchlich sind. Einfache Abwehr oder Identifikation ist nicht möglich. Man schwankt ständig zwischen beiden Extremen.
Man muss Widersprüche ertragen und auf klare Muster von Gut und Böse, Wahr und Unwahr verzichten können, wenn man dieses Buch mit Gewinn lesen will. Auch eine Kategorisierung von Täter und Opfer wird man an dieses Buch nicht anlegen können. Wer über jegliche Schemata hinaus an psychischen Prozessen und jüngerer Zeitgeschichte interessiert ist, wer nicht auf jede Frage eine Antwort benötigt oder erwartet, der sollte dieses Buch lesen. Jeder Mensch ist über sein individuelles Menschsein hinaus auch Teil einer Gesellschaft. Sich selbst als Individuum, die Gesellschaft und darüber hinaus die Wechselwirkungen zu hinterfragen, ist eine Möglichkeit, die das Buch bietet.

Katja Maria Weinl



Taschenbuch | Erschienen: 01. März 2007 | ISBN: 9783898065887 | Preis: 19,90 Euro | 216 Seiten | Sprache: Deutsch

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