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Thomas weiß nicht mehr weiter. In den letzten Kriegsmonaten hat er während eines Transportes seine Mutter aus den Augen verloren. Sein Vater ist an der Ostfront gefallen und das Haus, das er in Wien sucht, liegt in Trümmern. Seine Tante, die dort vor dem Krieg wohnte, ist verschwunden. Thomas ist endgültig allein. Er hat niemanden mehr und niemand kümmert sich um ihn.
Verzweifelt folgt er dem einbeinigen, abgebrannt wirkenden Mann. Der sieht aus, als wüsste er, wie hier der Hase läuft. Thomas folgt ihm bis zu einem Bauwagen der mitten in der Einsamkeit steht. Der Mann will ihn fortjagen, schreit ihn an, winkt ihn heran. Thomas hat einen Freund gefunden. Krücke, wie der Mann genannt werden will, erweist sich als fähiger "Besorger". Ob Essen oder einen gemütlichen Schlafplatz, Krücke weiß immer Rat.
Der Ex-Soldat, Ex-Widerstandskämpfer, Krüppel und Einzelkämpfer beginnt Thomas lieb zu haben, als sei er sein Sohn. Thomas Mutter meldet sich nicht und Krücke beschließt, gemeinsam mit Thomas nach Deutschland zu fahren. Dort wollen die Beiden versuchen, ein neues Leben zu beginnen. Doch über allem schwebt die Angst, dass sie sich wieder trennen müssen. Entweder durch eine Entscheidung der Behörden oder wenn Thomas Mutter sich melden sollte.
Hinzu kommt, dass die unzähligen Flüchtlinge in Deutschland nicht gerne gesehen werden und es sehr schwer ist, eine neue Heimat zu finden.
In "Krücke" schildert Peter Härtling die Nachkriegswirren in Österreich und Deutschland. Die Not der Entwurzelten, Kriegsversehrten, Waisen, den Hunger der Heimatlosen, die Ängste der Deutschen vor den Heimkehrern, die unmenschlichen Transporte quer durch die junge Bundesrepublik, die hilflosen Behörden, die seltsame Gefühlslage der Menschen, die eben noch einen unsterblichen, allmächtigen Führer hatten und nun von allen angefeindete Verlierer sind.
Die klare, einfache Sprache des Autors, seine einfallsreiche Komposition aus Erinnerungen, schlaglichtartigen Szenen der Gegenwart und Gedankenbildern beeindruckt nachhaltig. Den jugendlichen Lesern ab zehn bis zwölf Jahren wird eine Zeit verdeutlicht, die sie ansonsten nur in wenigen Unterrichtsstunden vermittelt bekommen.
Wie es Härtling gelingt, die Schrecken des Krieges, die glühende Hitlerverehrung, das Leid der Überlebenden in der tristen Nachkriegszeit, den Opportunismus einiger Deutscher, die Ausweglosigkeit der Kriegsversehrten und Flüchtlinge, die Not der Vertriebenen zu verdeutlichen, ist in der deutschen Kinder- und Jugendliteratur nahezu einmalig.
Sein mahnendes Zeitdokument sollte in Schulen und Kinderzimmern, Lesesälen und Bibliotheken zur Pflichtlektüre gehören. "Krücke" ist im besten Sinne ein Stück deutsche Literatur.
Das Umschlagbild ist dem gleichnamigen Film mit Heinz Hönig entnommen. Die Illustrationen im Inneren des Buches sind von Sophie Brandes. Sie passen auszeichnet zum Text und vertiefen dessen Wirkung auf den Leser.