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Gotische Architektur und Kunst polarisieren: Während der Anblick gotischer Kathedralen viele Menschen zu Staunen und Begeisterung hinreißt, empfinden andere, auch versierte Kunstfreunde, sie als einfach scheußlich.
Um die Gotik zu verstehen, muss man sich mit ihrer Entstehungsgeschichte und Entwicklung befassen. In diesem Buch werden das Aufkommen und wesentliche Merkmale gotischer Architektur und anderer Kunstrichtungen im geografischen beziehungsweise, sofern zu dieser Zeit davon die Rede sein kann, nationalen Kontext dargestellt und anhand ausgesuchter, repräsentativer Beispiele aus allen Regionen erläutert.
In der Einführung erfährt der Leser, wie der Begriff "Gotik" entstand, und wie der Stil im kulturhistorischen und künstlerischen Kontext zu verstehen ist. Der Hauptteil umfasst die Geschichte und die Entwicklungen der Früh- und Hochgotik, wie erwähnt nach den damaligen Reichen gegliedert; zahlreiche Werkbeispiele, nach Kunstform geordnet, schließen sich an. Analog ist der Buchteil über die Spätgotik aufgebaut. Im Kapitel "Materialien" findet der Leser zeitgenössische Texte, die sich mit einzelnen gotischen Bauwerken befassen, etwa Inschriften, die Baumeister würdigen, und Anweisungen von Bauherren an die Ausführenden.
Anders als in der Mehrzahl der Bücher zur Gotik werden hier nicht nur Techniken sowie kunst- und kulturhistorische Aspekte behandelt, zu denen auch die hinter dem Kathedralenbau stehenden religiösen und repräsentationsbezogenen Ideen gehören, sondern ebenso Künstlerbiografien sowie vor allem die politgeschichtlichen Vorgänge, deren Komplexität den Kathedralenbau und die gotische Kunst nicht unwesentlich geprägt hat. Dies trifft hauptsächlich für Frankreich zur Zeit des Hundertjährigen Krieges zu.
Hervorzuheben ist zudem die Einbeziehung Italiens, das in anderen Gotik-Büchern oft außen vor bleibt. Bernd Nicolai zeigt auf, dass die Gotik durchaus auch südlich der Alpen Verbreitung fand. Ebenso wird die Gotik auf der iberischen Halbinsel ausführlich beschrieben und gewürdigt.
Aufgrund des begrenzten Umfangs fällt die Darstellung der Inhalte relativ stark gedrängt aus, wie man es von den fast immer knapp gehaltenen gelben Reclam-Bändchen kennt, die möglichst viel Information auf möglichst engem Raum anbieten sollen, gehört doch das handliche Format zu den "Markenzeichen" von Reclams Universal-Bibliothek. Allgemeinverständlich und anschaulich sind die Texte dennoch, sodass sie sich gerade für Laien, Schüler und Studenten als Wissensbasis sehr gut eignen. Angesichts der großen Anzahl berücksichtigter Aspekte erstaunt die recht detaillierte Ausarbeitung, gerade auch bezüglich der Werkbeispiele: Die dort aufgeführten und beschriebenen Bau- und Kunstwerke werden in den meisten Kunstführern weniger gründlich vorgestellt.
Dank der logischen, übersichtlichen Gliederung kann der Leser immer wieder einzelne Interessengebiete ohne langes Suchen nachschlagen. In die Texte sind eine Reihe von Schwarzweiß-Fotos repräsentativer Meisterwerke der Gotik integriert, allerdings findet man keineswegs Abbildungen aller angeführten Werkbeispiele.
Dieses Buch vermittelt einen umfassenden Überblick über gotische Architektur und Kunst und richtet sich an einen weiten Leserkreis, zumal es keine Vorkenntnisse voraussetzt, von ein paar in der Architektur und Kunst gebräuchlichen Fachausdrücken wie Lettner, Retabel und Diptychon abgesehen. Nicht nur die Hintergründe und die Entwicklung des gotischen Stils, sondern auch seine Ausbreitung werden anhand der Erläuterungen nachvollziehbar.