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Zwischen 1909 und 1911 und zwischen 1950 und 1954 entstand
"Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Der Memoiren erster Teil", Thomas Manns letzter Roman. Nach unzähligen Buchausgaben, verschiedenen - stark gekürzten - Hörbüchern, nebst einer von Thomas Mann selbst vorgetragenen, vier CDs umfassenden Version, die mehrere Kapitel auszugsweise beinhaltet, ist nun eine komplette Lesung dieses "Schelmenromans" im "Argon-Verlag" erhältlich.
Felix Krull ist vom Schicksal begünstigt. Ihm ist es ein Leichtes, Frauenherzen für sich zu gewinnen oder seiner Umgebung Sympathie für die eigene Person abzunötigen. Ohne finanziell gut situiert zu sein - sein Vater entäußerte sich nach dem Konkurs seiner Sektkellerei seines Lebens, als Felix das achtzehnte Jahr erreicht hatte - gelingt es ihm allein Kraft seiner inneren Bemühungen um Eleganz, Stil und vorgetäuschter Aufrichtigkeit, den ihm seiner Meinung nach angemessenen Status im Leben zu erreichen.
Er logiert in einem Hotel und findet immer wieder Gelegenheit, der aristokratischen Lebewelt und dem gehobenen Bürgertum, das um den schönen Schein zu wahren nach Felix Krulls Überzeugung betrogen werden will, zur Befriedigung der eigenen Genusssucht nahe zu sein.
Krull schildert ohne Scham, auch unangenehme Wahrheiten nicht scheuend, dem geneigten Leser seiner Memoiren sein Leben bis hin zu seinem vierzigsten Geburtstag. Ohne Illusionen für seine Zukunft und innerlich ausgebrannt belebt ihn die Aufarbeitung seiner Vergangenheit. Andeutungsweise lässt er bereits zu Anfang erkennen, dass ihn die Karriere des Hochstaplers - so zumindest die Einschätzung der Behörden - zu einem langjährigen Zuchthausaufenthalt zwang.
Ohne Reue lässt Krull vor seinem inneren Auge - wohlwissend, dass ihm der Leser seiner Memoiren dabei über die Schulter schaut - seine Hotelkarriere, seine Liebschaften und Eroberungen Revue passieren, schildert minutiös, wie er welche Dame beeindruckte und überzeugte, in ihm etwas Besonderes zu sehen. Dann aber schildert Krull das unerwartete Ende seines beschaulichen Dasein in dem Pariser Luxushotel durch die Bekanntschaft mit dem Marquis de Venosta und seinen unaufhaltsamen gesellschaftlichen Aufstieg.
Der Schauspieler und Synchronsprecher Boris Aljinovic - Fans des britischen Kultautors Terry Pratchett durch seine Lesungen der Scheibenweltromane ein Begriff - übernahm die Herkulesaufgabe, diesen Roman vorzutragen. Denn bekanntermaßen vermied Thomas Mann den Punkt am Ende eines Satzes, indem er unzählige Kommas, Einschübe, Attribute und Querverweise in seine Sätze einbaute, die so nicht selten über eine ganze Buchseite reichen konnten. Dies macht den Vortrag schwierig bis unmöglich, denn der Hörer kann nicht diverse Male den Satz von vorne beginnen oder Teile erneut dem Sinn nach aufschlüsseln oder dem roten Faden eines jeden Satzes zuordnen.
Erschwerend kommt die enorme sprachliche Eloquenz des Autors hinzu. Sein Wortschatz umfasst hunderte Begriffe, die heute kaum noch gebräuchlich sind oder selten Verwendung finden.
So ist dieses achthundertsiebenundsiebzig Minuten lange Hörbuch zwar ein grandios vorgetragenes Meisterwerk der Weltliteratur und unbedingt empfehlenswert, aber es erfordert auch ein hohes Maß an Konzentration und eine enorme Aufnahmebereitschaft.
Des Weiteren ist es meilenweit entfernt vom Mainstream der sonstigen Hörbücher. Man muss schon Gefallen finden an diesen scheinbar endlosen Schilderungen von Nebensächlichkeiten, dem fast spannungslosen Verlauf der Geschichte und den sprachlich zwar einmalig feinen, herrlich komplizierten Gedankengängen, die aber in ihrem zeitlosen, nicht enden wollenden Fluss gelegentlich Unmut erzeugen mögen, ob denn endlich etwas passieren möge.
Ohne Zweifel ist Thomas Mann einer der brillantesten, einflussreichsten Autoren des 20. Jahrhunderts. Sein Spätwerk, einer seiner kommerziell erfolgreichsten Romane, gehört auch heute noch zu den lesenswertesten Büchern der Weltliteratur. Ob eine Hörbuchfassung von fast fünfzehn Stunden Dauer zu einem nicht geringen Preis Sinn macht, muss der Käufer entscheiden. Wer aber wenig Zeit zum Lesen hat, lesefaul ist oder während langer Autofahrten und sonstiger Tätigkeiten, die nur ein Hören erlauben, eines der großartigsten Beispiele deutscher Literatur von einem glänzend aufgelegten Boris Aljinovic erzählt haben will, sollte ohne zu zögern zugreifen.
Netterweise hat der Argon-Verlag eine MP3-CD beigelegt, die es ermöglicht, das gesamte Hörbuch ohne Wechsel der CD anzuhören - ein nicht zu unterschätzender Service!