Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Gefühl | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Spannung | |
Nach dem Roman
"Beginenfeuer", in dem sich die Autorin Marie Cristen Violante, einer jungen Frau in Flandern, und ihrem Leben widmete, dreht sich in "Die Stunde des Venezianers" alles um Violantes Enkeltochter Aimée.
Die kleine Aimée wird von ihrer Großmutter vor der Pest gerettet und hängt seitdem innig an ihr. Doch auch kleine Edeldamen werden erwachsen und müssen eines Tages ihre eigenen Wege gehen. So geht Aimée an den Hof Phillips des Kühnen. Dieser macht ihr Avancen, sogar auf seiner Hochzeit mit Margarete von Flandern. Auf dieser Feier lernt Aimée den Kaufmann Ruben Cornelius kennen und verliebt sich in ihn. Auf Bestreben Margaretes heiraten die beiden und Aimée zieht mit ihrem neuen Mann nach Brügge, in die Hochburg des Handels. Doch das kaufmännische Unternehmen von Ruben steht vor dem Untergang, nicht zuletzt durch seine Impulsivität. Nur Rubens Cousin Colard de Fine, der mit Ruben das Haus leitet, bewahrt das Haus noch vor dem Untergang. Doch als Ruben auf einer riskanten Seereise umkommt und dabei auch die letzten Handelswaren des Hauses verloren gehen, scheint nichts mehr zu retten zu sein.
Doch Aimée ist stark und will nicht aufgeben. Als sie dann auch noch erfährt, dass sie durch eine entfernte Verwandtschaft großmütterlicherseits die wahre Erbin des Hauses Cornelius ist, ist sie nicht aufzuhalten. In Windeseile schmiedet sie Pläne, nicht zuletzt, da sie um die Vorliebe Margarete von Flanderns für schöne Dinge weiß. Mit viel Mühe scheint sie es zu schaffen, das Haus vor dem Abgrund zu retten.
Doch viele Dinge erschweren die Rettung: Ruben hat vor seinem Tod sehr viele Schuldscheine unterschrieben, das gesamte Unternehmen gehört eigentlich schon längst dem venezianischen Bankier Domenico Contarini, einem undurchsichtigen und rätselhaften Mann. Doch nicht nur von ihm droht Gefahr: Intrigen aus den Machtkreisen Brügges drohen, die zarten Gewinne zu vernichten. Aber Aimée hat nicht nur Feinde, sondern auch mächtige Freunde und viele gute Pläne.
Der Roman, der Ende des 14. Jahrhunderts in Brügge spielt, beleuchtet auf eindringliche Art das Leben der kaufmännischen Zunft in Flandern sehr genau und bis ins kleinste Detail. Rechnungsvorgänge werden ebenso erklärt wie die Tatsache, dass zum kaufmännischen Gewerbe ein gewisses Maß an Intuition gehört. Frauen hatten es damals natürlich schwer, umso eindringlicher wird beschrieben, wie Aimée sich in dieser von Männern dominierten Welt Respekt verschafft und ihren Weg geht, ohne sich neu verheiraten zu lassen. Schon die erste Hochzeit war überstürzt und mündete nicht in eine glückliche Ehe, ein zweites Mal soll ihr das auf keinen Fall geschehen. So haben nicht nur die finanziellen und beruflichen Aspekte ihren Platz, sondern auch Aimées Gefühlswelt wird beleuchtet.
Aimées Kampf, dem Haus Cornelius wieder sein Ansehen und seinen guten Ruf zurückzugeben, sind beachtlich. Es ist bewundernswert, wie diese Frau sich in einer Männerwelt zurechtfindet und behauptet. Auch wenn es zum Teil unglaubwürdig erscheint, dass eine Frau tatsächlich diesen Weg hätte gehen können, wird der Leser über diese Frage hinwegsehen und den Werdegang genießen. Nicht nur Aimées Sichtweise des Ganzen wird beleuchtet, auch Domenico Contarini erhält weiten Raum. Dadurch klären sich manche Fragen schon bevor sie auftreten und der Leser kann der Entwicklung der Handlung zusehen, ohne sich überflüssige Fragen stellen zu müssen. Nicht zuletzt erhält man durch diese Teile auch Einblicke in den Beginn des Bankwesens und bargeldlosen Handels.
Die komplizierten Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Aimées Familie und dem Hause Colard werden zu Anfang des Buches durch einen Stammbaum verdeutlicht. Dies hilft, sich zu Recht zu finden in der weitläufigen Handelsfamilie. Zur weiteren Information findet sich am Ende des Romans ein kleines Kapitel über die historischen Fakten des Romans.
"Die Stunde des Venezianers" ist ein unterhaltsamer und interessanter Roman über die Handelshäuser von Brügge. Man muss "Beginenfeuer" nicht gelesen haben, um der Handlung folgen zu können, doch die Andeutungen in "Die Stunde des Venezianers" werden den Leser neugierig genug machen, auch mal in den vorhergehenden Band der Autorin reinzulesen.