Ursprünglich als Werbe-Cartoon für einen Küchengerätehersteller gedacht, entwickelten die "La linea"-Zeichentrickfilme des Cartoonisten Osvaldo Cavandoli Anfang der Siebziger schnell ein erstaunliches Eigenleben als Werbepausenfüller bei internationalen Fernsehanstalten und im Kino. Dabei ist das Konzept so einfach und minimalistisch:
Eine männliche zweidimensionale Zeichentrickfigur, mit der Stimme des italienischen Synchronsprechers Carlo Bonomi ewig nörgelnd und vor sich hin plappernd, läuft auf einer weißen Linie von rechts nach links. Irgendwann ist die Linie unterbrochen und die Figur, die sich anfangs noch mit Handkuss für seine "Erschaffung" beim Zeichner bedankt hat, beschwert sich jetzt. Das hat zur Folge, dass der Zeichner, von dem man immer nur die Hand sieht, die Lücke in der Linie irgendwie füllt, etwa indem er ein Tier, eine andere menschliche Figur oder einen Gegenstand zeichnet und damit ein kleines Abenteuer für die Figur in Gang bringt. Diese ist ein nie zufriedener, stets fordernder Fettnäpfchentreter, der das vermeintlich Kleinere oder Schwächere auslacht und dafür sehr schnell die Quittung bekommt. Dabei werden physikalische Gesetzmäßigkeiten cartoongerecht ausgeblendet, die Figur zerfließt, wird in einen Fernseher gesogen und so weiter. Die zwei- bis fünfminütigen Filmchen enden in der Regel für die Figur ungünstig und für den Zuschauer schadenfroh: Arroganz wird bestraft. Das Ganze findet vor einem unifarbenen Hintergrund statt und wird begleitet von einer wenig abwechslungsreichen Musik, die nicht darauf angelegt ist, mit dem Geschehen auf der Linie zu harmonieren.

Es ist halt ein Stück Fernsehgeschichte, was KSM da für den Heimgebrauch auf drei DVDs gepresst hat. Und aus fernsehgeschichtlicher Sicht ist das natürlich Kult, die Cartoons liefen in zahllosen Ländern.
Heutzutage laufen diese Strips hauptsächlich auf Videowänden in U-Bahn-Stationen oder auch im Fitnessstudio auf den Fernsehern, und zwar ohne Ton. Das ist erträglich, denn sowohl die Tralala-Musik von Franco Godi, der auch Signor Rossi musikalisch begleitete, als auch das ständige undeutliche italienische Gebrabbel sind nervig und auch verzichtbar. Die Geschichtchen sind immer gleich gestrickt, manche Ideen wiederholen sich, die Figur lernt nie dazu. Das tut der Kater bei Tom und Jerry auch nicht, deshalb mag das Ganze für Kinder noch ansprechend sein. Als Erwachsener muss man schon ein großer Fan mit eisernern Nerven und hoher Nostalgie-Anfälligkeit sein, um sich diese DVDs zu Hause am Stück anzuschauen. Dann wird man die Musik auch nicht nervig, sondern lässig und passend finden.
Interessant ist "La linea" aus interpretatorischer Sicht. Da kommuniziert eine fiktive Figur mit ihrem Erschaffer und nur durch das sichtbare Zusammenspiel dieser beiden und damit durch die Aufhebung der Grenze zwischen dem Erzähler und seinem Protagonisten kommt eine Geschichte zustande. Das ist nicht neu, aber medienwissenschaftlich wertvoll. Darüber hinaus kann man die Cartoons als Gesellschaftskritik ansehen: Der Nörgler, der den vernünftigen Umgang mit seiner Umwelt verlernt hat und den Hals nicht voll kriegen kann, wird hier gewitzt karikiert.
Vorrangig ist jedoch der Unterhaltungswert, und der schwindet, je mehr Episoden man sich am Stück anschaut. Die Cartoons waren als Einzelfilmchen und Pausenfüller konzipiert worden und sollten als solche auch genossen werden. Da stellt sich die Frage, ob knapp dreihundert Minuten "La linea" wirklich so viel Sinn machen.

Das DVD-Digipack mit drei Discs ist auf dreitausend Exemplare limitiert und beinhaltet einen Ansteckbutton. An Bonusmaterial enthalten die DVDs ein Making Of, Bonusfolgen, Sketche und anderes. Menü und Extras konnten nicht bewertet werden, da nur ein Presse-Exemplar mit acht Episoden vorlag.

Für Fans, Interessierte, Nostalgiker und Sammler ein Muss, für Kinder ein Kann, alle anderen müssen sich nicht unbedingt mit diesem fernsehgeschichtlichen Kleinod befassen. Wer es dennoch versuchen will, dem sei vorgeschlagen, sich die Cartoons zunächst ohne Ton anzuschauen. Wenn man allerdings nicht gewillt ist, Geld dafür auszugeben, kann man sich auf der Homepage des französischen Fernsehsenders TV5 über fünfzig dieser Filme kostenlos anschauen.