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Gibt es jemals einen Wettbewerb um den Titel "Verwirrendster Film aller Zeiten", David Lynchs neustes Werk "Inland Empire" gehörte unter Garantie zu den Finalisten, wahrscheinlich zusammen mit einigen seiner anderen Streifen wie "Eraserhead", "Lost Highway" oder "Mulholland Drive". Wobei jedoch auch die letzten drei keine Chance hätten gegen dieses dreistündige Epos der Unverständlichkeit, der Sprengung von Raum und Zeit, der Loslösung von allen narrativen Konventionen. Dies ist ein Film, der seinen Zuschauer enorm fordert und alles von ihm abverlangt. Wer schon mit anderen Filmen Lynchs absolut nichts anfangen kann, darf jetzt aufhören zu lesen und sich einer anderen Rezension widmen, denn selbst Fans des Regisseurs werden sich mit "Inland Empire" zunächst gewaltig überfordert fühlen.
Dabei ist die erste der drei Stunden doch eigentlich noch relativ überschaubar. Dort bekommt die Schauspielerin mit dem generischen Namen Nikki Grace das Angebot, die Hauptrolle der Susan Blue in einem Film mit dem unwahrscheinlichen Titel "In High on Blue Tomorrows" zu spielen, dem Remake eines alten, polnischen Films, dessen Hauptdarsteller noch vor der Veröffentlichung ermordet wurden. An ihrer Seite steht der Schauspieler Devon Berk, der im Film Billy Side verkörpert. Zwischen ihm und Nikki entstehen schon bald sexuelle Spannungen, die Nikkis eifersüchtiger Ehemann nicht gerne sieht. Doch Moment, entsteht dort eine Beziehung zwischen Nikki und Devon oder zwischen Nikki und Billy? Oder handelt es sich doch nur um die Rolle der Sue, die Nikki verkörpert? Die Realität ihrer Rolle beginnt, in Nikkis Leben einzudringen - und als sie durch eine Tür mit der mysteriösen Beschriftung AXXoN N geht, lösen sich die Grenzen zwischen Realität und Fiktion vollends auf. Ab diesem Zeitpunkt ist "Inland Empire" dann eine scheinbar wirre Abfolge von Szenen, die den Zuschauer tief in den düsteren Kaninchenbau des David Lynch mitnehmen. Szenen des polnischen Originalfilms wechseln sich mit Szenen von Nikki oder Sue ab, die sich in verschiedenen Kulissen verliert. Menschen in Hasenkostümen bringen kryptische Äußerungen zu schalem Tonbandgelächter hervor. Charaktere, Bilder und Motive tauchen auf, verschwinden, wiederholen sich. Ebenen von Raum, Zeit und Realität wechseln sich ab, überlappen sich, bringen einander hervor. Nikki, Sue und der Zuschauer sind gefangen in einem Netz aus Symbolen und Figuren, Richtungsangaben gibt es keine, was als Realität eingestuft wird, mag nur wieder eine weitere Schicht der Fiktion sein.
Das hört sich unheimlich kryptisch an, aber anders kann man das, was in "Inland Empire" im Verlauf der letzten beiden Stunden geschieht, nicht beschreiben. Eigentlich kann man es gar nicht beschreiben, denn das, was dort passiert, muss man selbst gesehen haben. Nun könnte man David Lynch natürlich den Vorwurf der Beliebigkeit machen. Jeder könnte sich eine der alten Digitalkameras schnappen, mit der der Film komplett gedreht wurde, und diese grobkörnigen Bilder erzeugen, zusammenhangslose Szenen improvisieren und diese dann hintereinander schneiden. Das Schöne an Lynchs Filmen und eben auch an "Inland Empire" ist, dass sie eben nicht völlig zufällig wirken, sondern immer einen roten Faden oder ein Thema zu haben scheinen, das tief unter der Oberfläche vergraben ist. In diesem Fall wird Realität im Film selbst thematisiert und die Kunst der Schauspielerei. Schauspieler leben davon, andere Menschen, andere Persönlichkeiten als sie selbst zu verkörpern, was im Film Nikkis eigene Integrität zerstört. Wie kann man noch man selbst sein, wenn man ständig jemand anders ist? So gesehen ist Nikkis/Sues Odyssee durch verschiedene Realitätsebenen ein Sinnbild für die Identitätskrise einer Schauspielerin, die sich für ihren Beruf verhurt - Bilder und Anspielungen finden sich dafür im Film genug. Auf der anderen Seite geht es auch um Film selbst, darum, wie Film Realität erzeugt und wie man nur im Schauen durch ein Guckloch auf eine Leinwand die tollsten Dinge sehen kann. "Inland Empire" ist strukturiert wie ein Alptraum und baut eine entsprechende Atmosphäre auf. Geht man nach dem Filmtheoretiker Siegfried Kracauer, dann sind Filme eigentlich auch immer genau das: auf die Leinwand gebannte Träume. "Inland Empire" treibt die Metapher lediglich auf die Spitze.
Es ist nur eine mögliche Interpretation für einen Film, dessen Bedeutungsaushandlung im Endeffekt jeder für sich selbst ausmachen muss. Denn trotz der drei Stunden Spielzeit wird man sich "Inland Empire" unbedingt noch mal anschauen wollen. Das liegt zum einen an der phänomenalen Leistung Laura Derns als Nikki/Sue, die dem Zuschauer stets als Ankerpunkt in diesem Strudel unverknüpfter Ereignisse dient. Zum anderen sind gerade die verwirrenden letzten zwei der drei Stunden alles andere als langweilig, da man nie vorhersagen kann, was als nächstes passieren wird und da der eigene Kopf fieberhaft damit beschäftigt ist, Vergangenes zu sortieren und Gegenwärtiges einzuordnen, Bilder zu erkennen und ihre möglichen Bedeutungen zu entschlüsseln. Letztendlich geht es in "Inland Empire" freilich nicht um das Verstehen, sondern um das Erfahren des Films. Und da übt allein die düstere Stimmung mit ihren bedrohlichen Szenerien und dem atonalen Soundtrack mit Werken des zeitgenössischen Komponisten Penderecki bereits eine unwiderstehliche Sogwirkung aus. Nach dem Ende des Films steht man zwar alleine vor einem großen Knäuel aus Bildern, Symbolen und Verweisen, aber gerade aus dem Versuch, sich auch noch lange nachher mit diesem Knäuel zu beschäftigen, ziehen David Lynchs Filme ja gerade ihren Reiz. So spielt sich "Inland Empire" immer und immer wieder im eigenen Kopf ab, wie ein vertracktes Logikpuzzle, das doch irgendwie zu lösen sein muss. Wahrscheinlich wird jeder, der sich ernsthaft mit dem Film auseinandersetzt, zu einer anderen, persönlichen Lösung kommen. Deswegen ist "Inland Empire" wahrscheinlich einer der wenigen Filme dieses Jahres, dem man den Status echter moderner Kunst zuschreiben möchte. So sei dieser experimentelle Film jedem Zuschauer als ein Experiment empfohlen, dem man sich unterziehen sollte. In der Beobachtung der eigenen Reaktionen auf "Inland Empire" wird sich dann zeigen: Dieses Experiment hat sich gelohnt!
Während man die Bildqualität der DVD dank des grobkörnigen Stils nur als angemessen bezeichnen kann, überrascht der Surround Sound durchaus positiv. So grollt der Subwoofer beispielsweise stets düster und vermag damit entscheidend zur bedrohlichen Atmosphäre des Films beizutragen.
Extras wie ein Making Of oder Interviews gibt es keine, aber die hätten den Film mit störenden Erklärungsversuchen wahrscheinlich auch nur herabgesetzt.