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 Schlüsselfiguren der Imagination, Band 5: Mythen Europas

Vom Barock zur Aufklärung


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Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis


Die Argo, jenes Schiff, auf dem die Argonauten nach Colchis fuhren, - so erzählt man - wurde verflucht, ewig auf dem Meer zu fahren, fernab jeder Küste. Es instand zu halten, so wie es einst war, erwies sich als unmöglich. Die Argonauten mussten Treibgut nehmen, wie es gerade kam, und so dem Schiff seine Seetüchtigkeit erhalten. - Dieses Bild taucht bei R. Barthes als Allegorie der Wissenschaft und der Kultur auf. Die zufälligen Fundstücke, die die Wissenschaft ausmachen oder die Kultur, weisen ironisch darauf hin, dass beide dem Zufall viel verdanken und dem Geschick einzelner, diesen Zufall auszuwerten. Das Bild unserer Kultur war lange anders. Einzelne Männer, teilweise auch Frauen, wurden über lange Zeit als Größen der heutigen Kultur gefeiert und geehrt. Wie dieser Glanz entstehen konnte, war nicht dem Einzelnen überlassen. - Genau diesen Gedanken thematisiert die Buchreihe, die von Michael Neumann initiiert wurde. Mit diesem fünften Band werden Schlüsselfiguren des Barock und der Aufklärung vorgestellt, die teilweise fiktiv und, wenn es sich um reale Personen handelt, unter den wuchernden Mythen teils oder vollständig verschwunden sind. Die vorgestellten Personen sind: Gustav II. Adolf - der Schwedenkönig, der den dreißigjährigen Krieg mitbestimmte -, Johannes von Nepomuk - Mordopfer und Heiliger -, Hernan Cortez - der Eroberer von Mexico -, James Cook - Weltumsegler -, Robinson Crusoe - Säulenheiliger des aufstrebenden Bürgertums -, Katharina die Große - russische Kaiserin -, Don Quijote und Sancho Pansa, Isaac Newton, Armida - eine Figur aus dem berühmten Roman von Torquato Tasso -, und schließlich, als Topos der Literatur, die verfolgte Unschuld.
Die Liste ist lang genug und - wie die Herausgeber betonen - nicht vollständig. Vorgestellt werden hier nicht die Wahrheiten über eine historische Figur, sondern die Rezeptionsgeschichte, die teils zu Lebzeiten, teils viel später so wirkungsvoll wie verstellend war. Schon der erste Aufsatz - der Gustav II. Adolf gewidmet ist - liest sich wie ein Krimi: Der frühe Gebrauch der Medien, meist in Form von Flugblättern, der den schwedischen König mit dem Nimbus eines Heilsbringers ausstattet, hat so deutliche Parallelen zu dramatischen Inszenierungen in der heutigen Medienlandschaft, dass man den Aufsatz nur bedingt historisch nennen kann. Das ist er auch. Aber über den Umweg der Geschichte wird hier, ohne dies explizit zu benennen, auch die Gegenwart beleuchtet. Ebenso dramatisch und spannend wird die historische Figur Johannes von Nepomuk und ihr Werdegang zum Heiligen beschrieben. Auch hier wird ersichtlich, dass die Mythen nicht durch Unvernunft, sondern durch politische und teilweise recht handfeste ökonomische Interessen gestaltet werden.
James Cook - von Karl-Heinz Kohl vorgestellt - wird nicht nur als Figur der Wissenschaft, sondern als Mythos der Kolonialisierung gezeigt. Ebenso gilt dies für Hernan Cortez und Robinson Crusoe. Vor allem letzterer weist darauf hin, dass seine Rezeption vom Unterhaltungsroman zu einem der wirkungsmächtigsten europäischen Bildungsromane nicht aus dem Werk selbst entstehen konnte, sondern aus den Veränderungen des europäischen Selbstverständnisses. Erst diese Veränderung bewirkte auch die veränderte Rezeption.
Die beiden Frauenfiguren, Katharina die Große und Armida, sind gegenüber ihren männlichen "Kollegen" sehr viel umstrittener - in der Realität wie im Mythos. Dies ist nicht nur der Stellung der Frauen in der damaligen Zeit geschuldet. Die Frau galt (und gilt!) als Abweichung vom Normzustand. Die Faszination, die eine weibliche Machthaberin ausübt, sei es als Kaiserin, sei es als dämonische Verführerin, hat die Mythenbildung wuchern lassen. Auch ein dritter Aufsatz - der verfolgten Unschuld gewidmet - stellt dieses Vielfältige und Zwiespältige der weiblichen Figur vor.
Newton, heute ein Prototyp des Rationalismus, war zu seiner Zeit wesentlich umstrittener. Anders als bei den Frauenfiguren polarisierten sich bei ihm aber die Mythen in den Befreier und Aufklärer auf der einen Seite, den Verblendeten und Simplifizierer auf der anderen Seite. Was also bräuchte der Mann, um vielfältige Mythen zu erzeugen, ähnlich der Frau? Die Narrenkappe. Dafür steht der Don Quichotte.

Dieser Band liefert Kulturwissenschaft im besten Sinne: Jeder Aufsatz stellt Tatsachen vor, soweit dies möglich ist, und erläutert Mythen und die Bildung dieser Mythen; und in jedem Aufsatz findet sich - sofern man dies mitlesen will - schon der kritische Blick auf die heutige Zeit. Insofern handelt es sich nicht um eine Aufsatzsammlung für historisch Interessierte, sondern für jeden, der sich kritisch mit kulturellen Mechanismen auseinandersetzen möchte. Hervorragend geschrieben sind alle; und gerade die ersten beiden zum Schwedenkönig und zu Johannes von Nepomuk so spannend, wie dies bei wissenschaftlicher Prosa selten zu finden ist.

Frederik Weitz



Hardcover | Erschienen: 01. September 2007 | ISBN: 9783791719382 | Preis: 26,90 Euro | 231 Seiten | Sprache: Deutsch

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