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 Dunkle Engel


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
USA, 1865. Der Sezessionskrieg ist seit wenigen Tagen beendet und Abe Lincoln einem Attentat zum Opfer gefallen. In einer makabren Leichenschau wird sein Leichnam durch Amerika gefahren, damit die Menschen von ihm Abschied nehmen können.

Paula Grainger ist einer dieser Menschen. Seit dem Tod ihres Gatten, einem Militärkaplan, lebt sie das Leben einer keuschen Witwe. War ihr Sexualleben schon während der Ehe sehr, nun ja, keusch, fügt sie sich nun in das Los der alten Frau ohne sexuelle Bedürfnisse. Ihr Alter sei als Überraschung für den Leser hier nicht verraten. Sie lebt mit ihrer schwarzen Dienerin Phoebe alleine in ihrem Haus und hat die Gelegenheit bekommen, vollkommen alleine im Raum an Lincolns Sarg zu stehen. Ironischerweise ist es den Schwarzen zuerst verboten, dem Leichnam ihres "Befreiers" die letzte Ehre zu erweisen. Jedenfalls ist die Witwe Grainger vollkommen alleine im Raum und spricht zu ihrem Gott, dass er doch die Zeit zurückdrehen und die Toten wieder lebendig machen möge. Groß ist die Überraschung, als Gott ihr antwortet, sie solle vorsichtig mit dem sein, was sie wünscht. Schnell stellt sich heraus, dass es nicht Gott war, der zu ihr gesprochen hat, sondern Walt Whitman, der bekannte Dichter (dessen schlechter Ruf erst noch im Entstehen ist). Dieser tritt, ziemlich heruntergekommen aussehend, aus dem Schatten und eröffnet der verdutzen Paula, dass er ihren Gatten zu seinen Lebzeiten gekannt habe und ihr einiges berichten könnte, was sie selbst noch nicht wisse.

Später sucht Whitman zusammen mit seinem jungem Geliebten (welch Schock für die Witwe) Zachery Brown, einem einfachen Soldat, die Witwe in ihrem Haus auf. Nun beginnt ein Geschichten-Erzählen, wie es lange nicht zu lesen war. Es geht um Voodoo, den Krieg, Grausamkeiten, Leiden, Menschen und mehr. Der Leser wird in den Krieg geführt und erlebt Dinge mit, die schwer verdaubar, nichtsdestotrotz aber faszinierend sind. Selbst eine Zombie-Armee, die die Süd-Staaten durchwandert, und ein Wer-Tiger fehlen nicht ?

Vorweg: Dieses Buch ist nichts für Menschen, die sich schnell ekeln. Hier werden Leichen geschändet oder auch gerne mal verspeist, Menschen gequält und reihenweise getötet. Auch die Erzählweise ist nicht einfach zu lesen. Hauptsächlich geht es in die Vergangenheit zurück, eine Geschichte mündet in die nächste, eine Randfigur von eben erzählt IHRE Geschichte (beziehungsweise wird die Geschichte später nacherzählt), was wiederum in eine Geschichte mündet. In der Gegenwart entdeckt Paula, dass Phoebe mehr ist, als es den Anschein hatte, und auch ihr eigenes verborgenes Wesen. Schließlich endet die Geschichte, wo sie begann, am Sarg von Lincoln.

Dieses Buch ist sicherlich Geschmackssache, einerseits wegen der blutigen Handlung, andererseits wegen der Erzählweise. Doch wer sich auf die Geschichten einlässt, erfährt nicht nur viel über Voodoo und die Grausamkeiten, die Menschen begehen können, sondern wird durch eine interessante Geschichte geführt, die mindestens philosophische/theologische/moralische Ansätze beinhaltet. Die schlimmsten Grausamkeiten begeht der Mensch, er kann die schlimmste Bestie auf Erden sein, das zeigt das Buch sehr eindringlich. Welch traurige Ironie, dass gerade der Mensch trotz seiner Intelligenz so handelt ?

Der Leser sollte am besten Interesse am Voodoo mitbringen, wird es doch hier recht ausführlich und wahrscheinlich - dank Beratung einer Priesterin - auch kundig beschrieben. Immerhin spielt eine Geschichte zeitweise auf Haiti. Ein wenig Vorkenntnis über den Sezessionskrieg, die wichtigsten Fakten, ist nicht unbedingt notwendig, hilft aber bei der Einordnung.
Spaßig ist die Einbindung der historischen Personen, zum Beispiel Whitman, Lincoln, Edgar Allan Poe und Lord Byron, wobei letzterer etwas holprig eingebaut wurde. Aber Lincoln als Teil einer okkulten Forschung - genial.

Im gewissen Sinne ein mutiges Buch und es ist Festa zu danken, dass er es verlegt hat. Wer eine "fantastische" Geschichte abseits ausgetretener Pfade lesen will, sollte zugreifen. "Dunkle Engel" ist übrigens locker mit zwei früheren Gruselgeschichten Somtows verknüpft. Die Handlung spielt im gleichen Nord-Amerika, das etwas anders ist als wir es gelehrt bekommen, wie auch "Ich bin die Dunkelheit" ("Vampire Junction", 1984; später zu einer Serie ausgebaut) und "Wolfsruf" ("Moondance", 1989).

Die Übersetzung scheint trotz des schwer übersetzbaren Erzählstiles der Geschichte gelungen, behindert jedenfalls nicht beim Lesen.

Bernd Wachsmann



Taschenbuch | Erschienen: 1. September 2005 | ISBN: 3935822960 | Preis: 9,90 Euro | 416 Seiten | Sprache: Deutsch

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