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 Eine Zeit ohne Tod

Autoren: José Saramago
Übersetzer: Marianne Gareis
Verlag: Rowohlt Tb

Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Am ersten Tag des neuen Jahres stirbt niemand; auch nicht am zweiten und an den darauffolgenden Tagen. Der alte Menschheitstraum vom ewigen Leben scheint in Erfüllung gegangen zu sein. Doch die Euphorie über das neue Glück wird alsbald von den Problemen der Altenheime und Krankenhäuser, der Beerdigungsinstitute und Versicherungsanstalten, der Angst der Politiker vor dem demographischen GAU überschattet. Denn die Abwesenheit des Todes ist nicht gleichbedeutend mit der Abwesenheit von Verletzungen oder Krankheit. Es gibt noch immer Autounfälle, allerdings sterben die Schwerverletzten nicht mehr, sondern füllen die Zimmer, Flure und schließlich jede noch so kleine Kammer der Krankenhäuser. Die Alten, die bereits im alten Jahr im Sterben lagen, wie die Königinnenmutter, sterben nicht. In einem Dorf unweit der Grenze wird der nicht lebende und nicht sterbende Großvater von der Familie, seinen eigenen Wunsch befolgend, nachts über die Grenze gebracht. Denn der Tod streikt nur diesseits der Grenzen. Überall sonst auf der Welt wird weiterhin normal gestorben. Diese Tat bleibt nicht unbeobachtet, führt zu Nachahmern und Problemen auf politischer Ebene. Sterbehilfe ist verboten, egal auf welche Art und Weise. Die Maphia, die sich mit ’ph’ schreibt, um sich von der herkömmlichen Mafia abzugrenzen, kommt auf den Plan und reißt das Geschäft mit dem Tod jenseits der Landesgrenzen an sich.

Doch nach einigen Monaten besinnt sich der Tod, schreibt dem Intendanten des Nationalfernsehens einen Brief mit der Bitte, die Botschaft, dass ab Mitternacht wieder gestorben wird, zu verbreiten. Sie, die "tod", will allerdings zukünftig jeden Todgeweihten eine Woche vor seinem Ableben von ebenjenem in Kenntnis setzten. So verschickt tod täglich Briefe und holt sich die Menschen wie seit jeher, bis ihr der Brief eines Cellisten durch seine unerwartete Rückkehr Rätsel aufgibt. Tod beschließt, den Cellisten kennen zu lernen ...

"Am darauffolgenden Tag starb niemand." Mit diesem ebenso einfachen wie großartigen Satz beginnt José Saramagos Roman "Eine Zeit ohne Tod". Die Frage "Was wäre, wenn ...?" beschäftigt Saramago nicht zum ersten Mal. War es in "Die Stadt der Blinden" der Verlust der Sehkraft, der die Menschen auf unerklärliche Weise heimsuchte und in Chaos und Anarchie mündete, so war es in "Die Stadt der Sehenden" der Umstand, dass die Menschen zwar zur Wahl gingen, dort aber nur leere Stimmzettel abgaben.
In "Eine Zeit ohne Tod" beschließt "tod", wie sie sich selbst nennt, das Sterben einzustellen, um es dann aber nach ein paar Monate doch wieder, wenn auch unter leicht veränderten Umständen, einzuführen. Saramago mag das Spiel mit den Ideen und versucht Politisches mit Alltäglichem, den Blick auf das Große und Ganze mit dem auf das Persönliche zu verbinden. Saramagos Mittel der Wahl ist der auktoriale Erzähler. Allerdings ist es auch diesem Erzähler geschuldet, dass der Leser keiner Person des Romans wirklich nahe kommt. In Beschreibungen politischer Probleme und Entscheidungen bekommt der Leser einen Überblick darüber, was es für eine Gesellschaft oder einen Staat bedeuten kann, wenn der Tod streikt. Wirklich großartig sind die Ideen nicht ebenso wenig wie der Roman. Saramago führt mit "Eine Zeit ohne Tod" nicht nur seine Was-wäre-wenn-Szenarien fort, sondern den Leser auch immer weiter von den handelnden Personen weg. Während man sich in "Die Stadt der Blinden" so manches Mal gewünscht hat, den handelnden Personen nicht so nah sein zu müssen, nicht alles erleben zu müssen, was ihnen widerfährt, so hatte der Leser in "Die Stadt der Sehenden" diesen Wunsch nicht mehr.
Das lag zum einen daran, dass nach der Dystopie die Utopie geschildert wurde, aber auch an der zunehmenden Distanz des Erzählers zu seiner Geschichte. Diese Distanz hat sich in "Eine Stadt ohne Tod" nochmals vergrößert. Das macht das Lesen zuweilen mühsam, denn die angerissenen Probleme, die die Gesellschaft erfassen, wirken sich selten für den Leser spürbar aus. Altersheime und Krankenhäuser sind überfüllt, ja, aber der Gedanke allein, dass dies bei einem Streik des Todes geschehen würde, ist nicht tragfähig genug.

Auch die Geschichte um die Maphia ermüdet. Einzig die Familie, die den Großvater zum Sterben über die Grenze schafft, gibt ein wenig Nähe zum "Volk", ebenso wie die Person des Cellisten. Auch die Tatsache, dass Saramago aus dem Tod eine Frau namens tod macht, hätte mehr ausgebaut werden können. Am Ende kann der Nobelpreisträger Saramago mit "Eine Stadt ohne Tod" nicht wirklich überzeugen und vor allem den Leser nicht fesseln.

"Bedenke gut, was du dir wünschst, es könnte wahr werden" heißt es in Marion Zimmer Bradleys "Die Nebel von Avalon". Und tatsächlich lässt das Szenario, das Saramago in "Eine Zeit ohne Tod" entwirft, den menschlichen Traum vom ewigen Leben nicht ganz so wünschenswert erscheinen. Was es wirklich für die Menschen bedeuten könnte, ewig zu leben, wird in Saramagos kurzem Roman nur teilweise angerissen, dies aber natürlich auf Saramagos besondere Art und Weise. Verschachtelte Satzkonstruktionen, eine hochstilisierte Sprache und die fehlende Kennzeichnung der direkten Rede sind das, was den Leser auch in diesem Roman wieder erwartet. Aber selbst seine so tolle Sprache erklärt hier einen Deut zu oft, ist einen Hauch zu viel Satire, ist angesichts der Ermüdungserscheinungen des Lesers manchmal zu verschachtelt.

Katja Maria Weinl



Hardcover | Erschienen: 01. September 2007 | ISBN: 9783498063894 | Originaltitel: As Intermitencias da Morte | Preis: 19,90 Euro | 253 Seiten | Sprache: Deutsch

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