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Sarajewo, 13. Juni 1995. Die zwölfjährige Nina sitzt zuhause und schreibt Tagebuch an ihren imaginären Freund Vili. Nina erzählt von ihren Freundinnen, mit denen sie sich auf der Straße trifft, um zu spielen und mit denen sie gemeinsam zum Tanztraining geht. Manchmal besuchen sie auch die Großmutter von Nina oder eine ihrer Tanten. Außerdem ist Nina in Dino verliebt, für den sie rote Herzen in ihr Tagebuch einklebt, "Dino + Nina" steht darunter.
Nina berichtet Vili, was sie so den ganzen Tag unternimmt, und erzählt ihm von ihren Hoffnungen, von ihren Träumen und Gefühlen. Zwischendurch schreibt sie kleine Gedichte. Abends telefoniert sie ab und zu mit ihrem Papa in Berlin und danach geht sie ins Bett oder tobt noch ein bisschen mit ihrem Hund Ziko. Einmal nehmen Nina und ihre Freundinnen an einem Wettbewerb teil und bekommen kleine Schokoladen geschenkt, danach gehen sie in ein Cafe und trinken Cola.
Alles ist so normal wie bei jeder anderen Zwölfjährigen in jedem anderen x-beliebigen westlichen Land. Nur, dass zwischendurch immer mal wieder eine Granate einschlägt oder Nina und ihre Freundinnen nicht nach draußen gehen können, weil geschossen wird. Nina lebt in Sarajewo, in Sarajewo ist Krieg, ein Krieg zwischen Nachbarn, zwischen Brüdern. Und eines Tages trifft eine dieser Granaten die spielenden Kinder auf der Straße und tötet Nina, drei Monate nachdem sie das Tagebuch begonnen hat. Es ist der 26. August 1995. Mehr als zehn Jahre später reist der junge Student Elvis nach Sarajewo und begibt sich auf Spurensuche nach seiner Kindheitsfreundin Nina.
Peter Münch begab sich 2005 nach Sarajewo, um eine Reportage über die Spuren des Krieges von 1992 bis 1995 zu schreiben . In der Stadt trifft er an einer Straßenecke auf das Mahnmal für Nina Zeljkovic, die an dieser Stelle getötet wurde. Er lernt ihre Mutter kennen, die ihm die Geschichte der Tochter erzählt und das Tagebuch anvertraut. Dieses Tagebuch ist hier originalgetreu und ohne Kürzungen ins Deutsche übersetzt worden. Der Autor hatte auch die Gelegenheit, Ninas Schwester und einige Verwandte kennen zu lernen. Alles, was über Nina und ihre Familie erzählt wird, ist genau so geschehen, nichts ist erfunden, nichts hinzugefügt, nichts geschönt, nichts dramatisiert.
Der Autor bettet die Tagebuchaufzeichnungen in sensibler und einfühlsamer Weise in eine Rahmenhandlung ein, indem er Vili zum Leben erweckt. Vili, die Figur, die zunächst von Nina selbst in ihrem Tagebuch erfunden wurde und den sonst niemand von ihrer Familie und ihren Freunden kennt. Peter Münch lässt ihn mit dem jungen Bosnier Elvis den er durch Zufall kennen lernt, und dessen Erlebnissen verschmelzen. Elvis ist im gleichen Jahr geboren wie Nina und hätte gut ihr Freund sein können, jetzt wird er Ninas Botschafter und Berichterstatter.
Dem Autor gelingt es hervorragend, das Beklemmende, das Tragische und das trügerisch Normale, die Grausamkeit des Krieges aufzuzeigen. Er versteht es, dem Leser das Schicksal dieses Mädchens nahe zu bringen, ohne ins Sentimentale und Kitschige abzugleiten. Die Tagebuchaufzeichnungen sprechen für sich in ihrer unverfälschten und ehrlichen Art. Das Buch macht in eindrücklicher Weise die Grausamkeit und Unmenschlichkeit eines Krieges deutlich. Es legt Zeugnis ab davon, wie sehr die Zivilbevölkerung mit leidet und wie sehr vor allem Frauen und Kinder betroffen sind.
Es ist erschienen in der Serie "Junge Reihe" und richtet sich an Jugendliche ab zwölf Jahren, ist aber sicherlich auch für Erwachsene eine lohnende Lektüre. Es bietet eine Diskussionsgrundlage und Anknüpfungspunkte, um sich ganz konkret mit dem Thema Krieg auseinander zu setzen, der uns täglich in den Medien begegnet, gestern in Sarajewo, heute in Kabul und Bagdad, und fördert sicher manches Verständnis. Nina, ein Gesicht, ein Schicksal unter den vielen anonymen, die täglich im Krieg umkommen. Ein Mädchen, nicht mehr Kind und noch nicht erwachsene Frau, an der Schwelle zu ihrem Leben, das nun nicht stattfinden wird. Nina, die versucht, Normalität zu leben im Horror der täglichen Bedrohung.
In der Mitte befindet sich ein Bildteil mit Originalseiten aus dem Tagebuch, die den Leser in die Atmosphäre einstimmen und mitnehmen in den Alltag von Nina. Linierte Blätter, auf denen in krakeliger Jungmädchenschrift, mal in Großbuchstaben, mal in Schreibschrift, das Leben der Zwölfjährigen festgehalten ist. Bunte Klebebilder und Poesiealbumsbildchen, aufgemalte Herzen. Ergänzend Fotos von Nina selbst, ihrer Familie und ihren Freunden, ihrem Wohnviertel und schließlich das Tagebuch selbst.
"Der Duft des Lindenbaums", das, was geblieben ist, ist ein authentisches Buch über die Sinnlosigkeit des Krieges.