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Sie sind tatsächlich nicht totzukriegen: Seit Bram Stoker in seinem immens erfolgreichen späten Gothic-Roman "Dracula" einige alte Volksmythen aufarbeitete, sind Vampire aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken: In unzähligen Büchern, Filmen, Comics und sogar Musicals saugen die Untoten mit den scharfen Zähnen den Lebenden das Blut aus. Mal düster und klassisch, mal grell und hypermodern - Vampire sind in vielen Erscheinungsformen bekannt und beliebt. Nun versucht die Amerikanerin Jeanne C. Stein, mit ihrem Debütroman "Verführung der Nacht" das Fundament für eine eigene Vampirsaga um ihre Protagonistin Anna Strong zu legen. Gelingt es ihr, frischen Wind in das altgediente Genre zu bringen? Oder schwimmt sie nur im Fahrwasser ihrer berühmten Autorenkolleginnen Anne Rice und Poppy Z. Brite?
Anna Strong ist Kopfgeldjägerin. Mit ihrem besten Freund und Partner David, einem ehemaligen Football-Spieler, sucht und stellt sie Kautionsflüchtlinge im Großraum San Diego, Kalifornien. Doch mit dieser ohnehin schon gefährlichen Tätigkeit ist es vorbei, als bei der Festnahme eines Flüchtigen etwas gewaltig schiefgeht: David wird von dem Gesuchten, einem gewissen Donaldson, außer Gefecht gesetzt. Anna ergeht es viel schlimmer: Sie wird von Donaldson auf den Rücksitz ihres Wagens gezerrt ... Als sie am nächsten Tag im Krankenhaus erwacht, ist nichts mehr, wie es vorher war. Donaldson ist verschwunden und David gibt sich die Schuld an ... ja, woran eigentlich? Anna erinnert sich nicht. Was ist in dem Wagen mit Anna geschehen? Der behandelnde Arzt, Dr. Avery, spricht von einer Vergewaltigung. Aber warum geht es Anna dann verhältnismäßig gut? Und warum heilen ihre Wunden so schnell? Der mysteriöse Dr. Avery weiß die Antworten auf Annas Fragen, und sie gefallen ihr überhaupt nicht: Sie ist zu einem Vampir geworden. Während sie noch damit kämpft, diese schreckliche Wahrheit zu verarbeiten, geschieht schon das nächste Unheil: Ihr Haus am Strand wird niedergebrannt. Als sie dann selbst in größte Gefahr gerät und auch noch ihr Partner David spurlos verschwindet, ist Anna gezwungen zu handeln: Sie macht sich auf die Suche nach Donaldson und versucht, die Rätsel zu entschlüsseln, die scheinbar keinen Sinn ergeben. Dies erweist sich als keine leichte Aufgabe, denn Kreaturen der Nacht und des Tages stellen sich ihr in den Weg ...
Anna Strong - sie ist Kopfgeldjägerin, Blutsaugerin, aber vor allem stets Frau. Jeanne C. Stein schickt mit Anna eine Protagonistin in das Vampirgenre, die nicht nur mit spitzen Zähnen, sondern auch mit einer gehörigen Portion Weiblichkeit gegen ihre Widersacher antritt. Stein erschafft in der realen Welt eine aufregende Parallelgesellschaft der Vampire, in der die Angst, entdeckt und von fanatischen Jägern ausgemerzt zu werden, immer präsent ist. Das spannende Abenteuer, das die Grenzgängerin Anna dabei erlebt, treibt die Autorin mit beachtlicher Souveränität voran - beachtlich deshalb, weil "Verführung der Nacht" Steins erster Roman ist. Sie erklärt das Reich der Vampire zu einer Welt der Gefahr, der Sinnlichkeit und der sexuellen Extase, in der alles möglich und doch nicht alles wünschenswert ist. Sprachlich kommt der Roman dabei niemals an den literarischen Anspruch der etablierten Genreklassiker heran, auch wenn Stein mit einigen Formulierungen durchaus voll ins Schwarze trifft. Auch die Komplexität der Charakterisierung lässt in "Verführung der Nacht" mitunter zu wünschen übrig. Diese Schwächen lassen sich aber leicht verschmerzen: Schließlich will Steins Startschuss für die Anna Strong-Chroniken kein Lehrwerk über Untotenpsychologie sein, sondern vielmehr, wie auf dem Cover angekündigt, "ein Vampirthriller." Das ist der Roman mit Sicherheit - und zwar ein guter. Schnörkellos erzählt und flott geschrieben, liest sich "Verführung der Nacht" flüssig und ausgesprochen spannend, so dass kurzweilige Unterhaltung garantiert ist. Auch die auf den ersten Blick ungewohnte Erzählweise aus der "live" berichtenden Ich-Perspektive erweist sich auf Dauer als gelungener Griff, ermöglicht sie doch das Unterbringen von reichlich unverhohlenem Sarkasmus. Dieser und die eingestreute Ironie brechen humorvoll die Klischees des Genres, die Stein zwar erfrischend modifiziert und modernisiert, denen sie sich aber doch nie ganz entziehen kann. Spielerische Verweise auf andere Vampirgeschichten - zum Beispiel die Vampirchroniken von Anne Rice - zeigen, dass die Autorin selbst eine belesene Anhängerin von Vampirromanen ist, was sie bereits im Vorwort offen ankündigt. Das Ende des Buches kommt dann nicht gänzlich überraschend, ist aber konsequent und auch nicht von Beginn an vorhersehbar. Insgesamt erweist sich "Verführung der Nacht" nicht als literarisches Meisterwerk, aber auf jeden Fall als hoffnungsvoller Auftakt der Anna Strong-Reihe.
Fazit: Wo Literaturprofessoren sich die Haare raufen, lachen die Herzen der Vampirfans. "Verführung der Nacht" ist ein anspruchsloser, spannender und unterhaltsamer Roman - mit Biss, versteht sich.