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Weiße Flecken auf der Landkarte gibt es auch heute noch. Zwar nicht im herkömmlichen Sinne von "nicht entdeckt", aber auf jeden Fall im Bezug auf den Einblick, den Außenstehende in das Geschehen eines Landes haben. Nordkorea ist bis heute so ein Fleck geblieben. Man hört von Atomwaffen, von Menschenrechtsverletzungen und Medienzensur, viel mehr ist aber nicht bekannt. In der Unterhaltungsliteratur tritt das Land höchstens als Randnotiz auf, als Beispiel für einen dunklen Ort, an den man besser nicht reisen sollte. James Church geht einen anderen Weg und widmet dem Land einen ganzen Roman mit dem kurzen und prägnanten Titel "Inspektor O". Darin geht es, wie sollte es anders sein, um Geheimdienste, Spionage und um politische Morde - und all dem wird der im Buchtitel genannte Protagonist begegnen.
Es scheint ein ganz gewöhnlicher Tag für Inspektor O von der Polizei in Pjöngjang, der Hauptstadt Nordkoreas, zu werden. Sein Auftrag ist so simpel wie schnell erledigt: Er soll sich auf einem Hügel über einer Schnellstraße verstecken und ein Foto von einem bestimmten vorbeifahrenden Auto schießen. Als dann der entscheidende Moment naht, versagt die Kamera des Inspektors. Was zunächst aussieht wie ein dummer Zufall in einem Land, in dem ohnehin vieles nicht richtig funktioniert, weitet sich schnell zu einer größeren Affäre aus. Zwei ranghohe Männer unterschiedlicher staatlicher Behörden sind auf einmal an Inspektor O interessiert, und auch sein Vorgesetzter Pak verhält sich höchst sonderbar. Als der Inspektor erfährt, dass der Fahrer des Autos tot ist und ein kleiner Junge in direkter Nähe mit durchgeschnittener Kehle gefunden wurde, gerät sein Leben erst recht aus den Fugen. Im Auftrag von Pak reist er in ein ländlicheres Gebiet, wo er vielleicht sicher ist. Doch Inspektor O wird verfolgt - und ohne zu wissen worum es eigentlich geht, steckt er sehr bald in einem lebensbedrohlichen Sumpf von Geheimoperationen, in dem niemand so genau weiß, wer für wen arbeitet und wem man noch vertrauen kann
Begibt man sich zum Zwecke der Recherche auf die Suche nach Informationen über den Autor James Church, dann wird man nicht viel finden. Ein ehemaliger Geheimdienstmann soll er sein, der mehrere Jahre in Asien, unter anderem in Nordkorea, gearbeitet hat. Sein Name sei geheim, James Church nur ein Pseudonym, doch manche Kritiker meinen, an seinem Wortgebrauch im Roman einen Amerikaner zu erkennen. Der Protagonist Inspektor O soll einer real existenten Person nachempfunden sein. Mehr ist nicht in Erfahrung zu bringen - und eine gewisse Aura des Mysteriösen umgibt diese Veröffentlichung. Dass das alles nur ein PR-Gag ist, muss bezweifelt werden, denn die detaillierte Beschreibung der Örtlichkeiten und Vorgehensweisen lässt in der Tat einen Insider, vielleicht wirklich einen Ex-Agenten als Autor vermuten.
Die geheimnisvolle Stimmung schlägt sich auch im Roman nieder. Zu Beginn wird so gut wie nichts verraten, und gemeinsam mit Inspektor O, der die Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählt, tappt auch der Leser im Dunkeln. Auf den ersten Seiten wirkt diese Geheimniskrämerei auch noch spannend, leider geht das Interesse an der undurchsichtigen Geschichte jedoch auf Dauer verloren. Es dauert tatsächlich fast zweihundert Seiten - die Hälfte des Buches - bis die Leser überhaupt auch nur ansatzweise verstehen, wer wo in der Handlung wessen Finger im Spiel hat. Was sie immer noch nicht wissen, ist worum es eigentlich geht. Das ist schade, denn die Stimmung, die Churchs Sprache erzeugt, ist besonders bei der Beschreibung der Natur fast als poetisch zu bezeichnen. Auch die kleinen Geschichten, die er wie im Vorübergehen über die Menschen in Nordkorea erzählt, lassen den eingangs erwähnten weißen Fleck auf der Landkarte zunehmend Farbe annehmen. Doch das alles täuscht leider nicht über die nagende Ahnung hinweg, dass die eigentliche Haupthandlung sich mehr oder minder auf der Stelle bewegt - und das trotz der Tatsache, dass Inspektor O mittlerweile durch halb Nordkorea gereist ist. Auch der Spannungsaufbau geht langsam und für einen Thriller deutlich zu zaghaft vonstatten. Der letzte Teil wartet dann mit einem unerwarteten Ende auf, das aber - wie der Rest des Romans - ruhig, bedächtig und unspektakulär erzählt wird und somit auch nicht wirklich die einschlagende Wirkung hat, die man sich von einem Thrillerfinale wünscht. Insgesamt ist "Inspektor O" kein schlechter Roman - ein wirklich guter Spionagekrimi sieht jedoch auch anders aus. Der Hauptverdienst von Churchs Buch ist der atmosphärisch dichte Einblick, den der Autor in ein Land gewährt, in dem jeder unter Beobachtung steht, in dem jeder falsche Schritt der letzte sein könnte und in dem keine wahre, offene Kommunikation möglich ist. Hätte Church dies noch mit einer etwas zugkräftigeren Handlung, einer Prise Suspense und einer flotteren Erzählweise verquickt, wäre "Inspektor O" vermutlich ein echter Thriller geworden. So muss er sich trotz ambitionierten Ideen im Mittelfeld einordnen.
Fazit: Ein stimmungsvoller Roman über eine abgeschottete Gesellschaft, der viel von seinem brisanten Potenzial durch eine schleppend voranschreitende Geschichte verschenkt.