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Michael Moore, der dicke Linksliberale mit dem Basecap, der Schrecken aller Konservativen, der prominenteste Gegner der Bush-Administration und Oscar-Gewinner, ist zurück. Diesmal nimmt er mit seiner neuen Dokumentation "Sicko" das amerikanische Gesundheitswesen ins Visier. Und wie immer sollte man vorsichtig sein, wenn man die Worte "Michael Moore" und "Dokumentation" in einem Satz verwendet, schließlich hat der sozialistische Provokateur es mit dem Kriterium der Objektivität noch nie so ganz genau genommen. Moores Dokumentationen - in Ermangelung eines besseren Worts - sind eigentlich nichts weiter als unterhaltsame Propagandafilmchen, die, wie es Propagandafilme nun mal tun, von einem Standpunkt überzeugen möchten.
Wenn man das im Hinterkopf behält, schauen sich Moores Filme gleich viel angenehmer, weil man stets weiß, hier nicht alles für bare Münze nehmen zu müssen. Und doch fühlt man sich schon nach fünfzehn Minuten ein wenig genervt, wenn einem in "Sicko" reihenweise schreiende Kinder vorgehalten werden und Moore mit weinerlicher Stimme den Erzähler mimt. Weitere fünfzehn Minuten später ist von diesem Genervtsein aber schon längst nichts mehr zu spüren, denn abseits aller Tränendrüsen ist "Sicko" doch ein äußerst faszinierender Film, bis zum Bersten gefüllt mit Anekdoten von Amerikanern, die mit dem Gesundheitswesen der Vereinigten Staaten zu kämpfen hatten. Es ist ein profitorientiertes System, in dem die Versicherungen jeden Cent aus ihren Kunden melken, wo nicht die Hilfe der Kranken im Vordergrund steht, sondern die Gewinnmaximierung. Da werden Ermittler auf Versicherte angesetzt, um kleinste Unstimmigkeiten und sogar unwissentlich verschwiegene Konditionen herauszufinden, damit eine Unterstützung verweigert werden kann. Da erzählt eine Frau, wie sie die Kosten für die Fahrt mit dem Krankenwagen vom Unfallort bezahlen musste, weil sie sie im bewusstlosen Zustand nicht vorher durch die Versicherung genehmigen lassen konnte. Da wird einem Mann die lebensrettende Knochenmarktransplantation verwehrt. Da stirbt ein Kind an Fieber, weil die Mutter ein Krankenhaus aufsuchte, das nicht im Programm der Versicherung war.
Viel lustiger wird die Geschichte, wenn Moore Kanada, England und Frankreich aufsucht, um die dortigen sozialen Gesundheitssysteme mit dem Amerikas zu vergleichen. Anscheinend werden dort die Patienten mit offenen Armen empfangen, haben geringe Wartezeiten, werden größtenteils völlig umsonst behandelt, bekommen in England sogar noch Geld ausgezahlt, wenn sie Transportkosten auf dem Weg zum Krankenhaus aufbringen mussten. Es muss ja nicht mal mehr alles stimmen, was der Moore uns da erzählt. Schließlich reagieren seine Interviewpartner größtenteils verdächtigerweise wie auf Knopfdruck mit größtenteils wohlgetimten Antworten. Aber es verfehlt sein Ziel in keinster Weise: "Sicko" macht einen unglaublich wütend. "Wie kann das sein?", will man fast herausschreien ob der Ungerechtigkeiten, die einem im Film präsentiert werden - denn selbst wenn nur die Hälfte stimmt, ist es immer noch unfassbar, wenn dieselbe Medizin im einen Land 120 Dollar kostet und im anderen fünf Cent. "Sicko" mag zwar gleichzeitig auch ein unterschwelliges Plädoyer Moores für den Sozialismus oder zumindest sozialere Umgangsformen in GodÂ’s Own Country sein, aber selbst der überzeugteste Konservative wird durch diese Art der Propaganda Schaum vor dem Mund bekommen, wenn er selbst schon einmal mit dem amerikanischen Gesundheitswesen zu tun hatte.
Und was ist für uns Deutsche dabei drin? Wenn man eine zumindest leicht anti-amerikanische Ader besitzt, ist "Sicko" alleine schon deswegen sehr unterhaltsam, weil man sich in hemmungsloser Schadenfreude ergehen kann. Selbstverständlich nicht angesichts der vielen traurigen Einzelschicksale, die im Film gezeigt werden, sondern angesichts dieser basalen Rückständigkeit eines Landes, das sich selbst bei uns in seinen Kinofilmen immer wieder als das beste und tollste der Welt propagiert. Wenn Michael Moore, selbst natürlich ein echter Patriot, mit fassungsloser Miene durch London und Paris schwankt, ihm vom Gesicht abzulesen ist, dass das Gerede über die tollen amerikanischen Werte von Freiheit und Gerechtigkeit anscheinend doch mal wieder nur mehr Schein als Sein ist - dann kann man sich als arroganter, French Fries fressender Europäer das Grinsen echt nicht mehr verkneifen. Und es wird immer breiter, je höher sich die (geschönten) Fakten im Laufe des Films stapeln.
Erst zum Schluss verzieht sich die eigene Miene wieder säuerlich, wenn Moore sich als Hundert-Kilo-Jesus mit Basecap hochstilisiert, indem er 9/11-Helfer ins gelobte Land Kuba führt, dort vor laufender Kamera heilen lässt und dann dem Betreiber der schärfsten Anti-Moore-Website anonym 12.000 Dollar spendet, weil dessen Frau in die Mühlen des amerikanischen Gesundheitssystems geriet - eine Geste, die nur dann Größe besessen hätte, wenn sie anonym geblieben wäre. Spätestens dann wird man sich wieder schmerzhaft dessen bewusst, dass man hier eigentlich einen egozentrischen Propagandafilm sieht und keine wirkliche Dokumentation. Aber darin wird sich Moore wohl auch nie ändern ... leider wahrscheinlich genauso wenig wie das amerikanische Gesundheitssystem.
Da es sich bei der rezensierten DVD um ein Pressemuster handelt, können Bild- und Tonqualität sowie die Extras leider nicht beurteilt werden.