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Monsieur Armand, verwitweter siebzigjähriger Philosophielehrer im Ruhestand, fährt im Bus und bereitet sich auf das Aussteigen vor. Als ihm dabei sein Gehstock aus der Hand fällt und ihn ein misslauniger Buspassagier deshalb anfährt, kommt ihm eine junge Unbekannte zu Hilfe: Pauline, zwanzig Jahre alt, Verkäuferin.
Pauline bringt den alten Herrn nach Hause und verschwindet dann wieder aus seinem Leben. Doch für ihn ist plötzlich nichts mehr, wie es war. Er hatte sich mit seiner Einsamkeit abgefunden, mit dem Umstand, seinen Kindern lästig zu sein, die sich vorwiegend für das zu erwartende Erbe interessieren, und mit den melancholischen Erinnerungen an seine nach langer schwerer Krankheit verstorbene Frau. Nun aber gibt es Pauline.
Armand macht sich auf die Suche nach ihr, und als er sie findet, zeigt sich, dass sie ihn gern um sich hat: als Ersatz für die Familie, die sie sich immer gewünscht hat. Denn auch Pauline trägt schwer an einigen Wunden, die ihr von ihrem noch kurzen Leben zugefügt wurden. Eigentlich möchte Armand nicht ihr Ersatz-Großvater sein, sondern etwas anderes - etwas, das er selbst nicht recht definieren kann, weiß er doch selbst, dass eine Liebesbeziehung mit der fünfzig Jahre jüngeren Pauline absurd wäre und seine Eifersucht auf ihren gleichaltrigen Freund im Grunde lächerlich ist.
Armand stößt bei seinen Bemühungen um Pauline immer wieder an seine körperlichen Grenzen und lässt sich zugleich von ihrer scheinbar unbeschwerten Frische betören; Pauline reift an dieser ungewöhnlichen Freundschaft.
Beide, Armand und Pauline, sind einsam und vom Leben gezeichnet. Während Armand sich resigniert zurückgezogen hat, stürzt sich Pauline in immer neue Liebesabenteuer mit gleichaltrigen Männern, stets in der Hoffnung, irgendwann die Familie zu finden, die ihr immer gefehlt hat.
Diese zwei Menschen treffen aufeinander und entdecken ineinander etwas, das sie benötigen. Armand geht aus sich und seiner stillen Wohnung heraus, Pauline entzieht sich der ziellosen Abfolge von Liebschaften und beginnt, sich für Armands Philosophie zu interessieren.
Behutsam emfindet Françoise Dorner eine außergewöhnliche Liebesbeziehung nach, in der Erotik nur als feiner Hauch eines exquisiten Gewürzes wahrgenommen wird. Während sich Armand in der Ansicht, er habe ihr ja nichts zu bieten, Pauline trotz seines starken Angezogenseins zögernd und scheu annähert, nimmt sie ihn unbeschwert und fast überschwänglich an: zunächst als Großvater, dann immer mehr als den Menschen, der er ist.
Die eigenartige Beziehung währt nicht lange. Beide lernen jedoch daraus, dass sie Verantwortung für ihre Vergangenheit übernehmen müssen und sich nicht nur als deren Opfer verstehen dürfen.
Indem die Autorin vor allem die große Verletzlichkeit der beiden Protagonisten, insbesondere Armands, herausstellt und beschreibt, dass diese Verletzlichkeit zu einem Gefängnis werden kann, schafft sie eine Atmosphäre tiefer Menschlichkeit. Zugleich zeigt sie auf, welch fatale Auswirkungen das Schweigen, ebenso jedoch übersteigerte Erwartungen innerhalb von Familien haben können. Die Familie ist ein zentrales Element dieses Romans - mit den Schwierigkeiten, die uns von Geburt her anvertrauten Menschen so anzunehmen, wie sie sind, und mit den Grenzen von "Wahlverwandtschaften" wie jener zwischen Armand und Pauline.
Der Roman wird bestimmt von einer bittersüßen, melancholischen Stimmung. Die Autorin ergründet einfühlsam die Abgründe in scheinbar intakten Seelen und zeichnet ihre Protagonisten trotz ihrer Ecken und Kanten ausgesprochen liebevoll; auch der siebzigjährige, verliebte Armand wird niemals der Lächerlichkeit preisgegeben.
Zum Hörbuch eignet sich die Vorlage vorzüglich. Wenn man sich erst einmal an die tendenziell etwas nuschelnde Stimme des Sprechers gewöhnt hat, kann man sie gut mit dem Protagonisten identifizieren, und Hans Korte liest einfühlsam und abwechslungsreich.
Ein auch technisch gelungenes, bezaubernd schönes Hörbuch über die vielfältigen Vernetzungen zwischen Menschen, über die Wunden, die sie einander oft unwissentlich zufügen, und über die Liebe mit ihren oft eigenwilligen Facetten.