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 Der fünfte Erzengel

Autoren: Andreas Gruber
Verlag: Shayol

Cover
Gesamt +++++
Aufmachung
Brutalität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Stöbert man die Nominierungslisten bedeutender deutscher Phantastik- und Science-Fiction-Awards wie etwa den Deutschen Phantastik Preis oder den Kurd-Laßwitz-Preis der letzten Jahre durch, so taucht nicht selten der Name Andreas Gruber im vorderen Spitzenfeld auf. Kein Wunder, steht der Name doch für Qualität im Bereich der düster-phantastischen Unterhaltungsliteratur, wie er mit seinen letzten Romanen erneut bewiesen hat. Dass Gruber aber auch ein Händchen für kürzere Geschichten besitzt, beweist "Der fünfte Erzengel" nur zu gut.

Die vorliegende Story-Kollektion enthält neun Geschichten der schaurigen Art, denen eines gemeinsam ist: die unglaubliche Eindringlichkeit, mit welcher der Horror an den Leser herangetragen wird, verbunden mit Grubers Geschick, die Psyche seiner Protagonisten offen zu legen. Hierbei ist zu bemerken, dass der supernatural horror, also das Eindringen finsterer Mächte in unsere Dimension, kaum in Erscheinung tritt. Vielmehr ist es der blanke realistische Schrecken, der den Grundtenor der meisten Geschichten bildet. Wenn sich in "Die Testamentseröffnung" herausstellt, dass nicht jeder am Gottesacker Verscharrte zwangsweise auch dort hingehört, oder "Der Anthropophag" dem Leser Einblick in die von Demütigung und sozialer Kälte gezeichnete Kindheit eines Serienmörders à la Hannibal Lecter gewährt, dann richten sich mit jeder weiteren Seite die Nackenhaare ein weiteres Stück auf. Und wenn in "Der Beichtstuhl des Pater Wolfgang" ein Mörder die Absolution für ein Verbrechen, das er begehen wird, verlangt oder "Wahrscheinlich ein kaputter Gasherd" die letzten Worte eines introvertierten Schreiberlings sind, dann erst erkennt man, dass Lovecraft den Begriff Angst komplett falsch definiert zu haben scheint. Nicht die Angst vor dem Unbekannten scheint auf einmal die größte aller Ängste zu sein …

Geringer hingegen ist die Zahl der Texte, welche nicht dem Pfad des realistischen Horrors folgen - aber deswegen keineswegs an Qualität einbüßen. So liefert Gruber mit "Duke Manór" eine Gespenstergeschichte nach klassischem Muster: ein altes Herrenhaus, in welchem der Protagonist immer tiefer in den Sog jenseitiger Mächte gezogen wird …

Im August 2000 als neunter Band der Reihe "Medusenblut" vom gleichnamigen Kleinverlag auf den Markt gebracht, belegte "Der fünfte Erzengel" beim Deutschen Phantastik Preis 2001 den vierten Platz in der Kategorie "Beste Anthologie bzw. Kollektion", die gleichnamige Titelgeschichte heimste des Weiteren den fünften Platz als "Beste Kurzgeschichte" ein. Dass sich nun jene Fans, an denen diese exquisite Sammlung aufgrund ihrer kleinen Auflage vorbeigegangen ist, ein Bild machen können, verdanken sie dem Medusenblut-Mastermind Boris Koch, der zusammen mit dem Shayol-Verlag eine Neuauflage auf die Beine stellte. Diese Initiative nahm Andreas Gruber wahr, um einerseits seine Stories zu überarbeiten und Kinderkrankheiten auszumerzen, andererseits aber auch, um Koch in Form eines Vorwortes für die Möglichkeit der Wiederauflage seinen Dank kundzutun. Darüber hinaus beschreibt der Autor schmunzelnd seine ersten Gehversuche im Fandom, seine ersten unsicheren Veröffentlichungen in Fanzines und seine Überraschung, als er von den Nominierungen von "Der fünfte Erzengel" hörte.

Franz Rottensteiner bezeichnete Gruber im "Quarber Merkur" einmal als "Vollbluterzähler, der weiß, wie er eine Geschichte gestalten muss, damit sie den Leser fesselt" - und sagt damit schon das Wichtigste über die vorliegende Geschichtensammlung aus. Auch wenn die neun Stories stilistisch noch nicht so ausgefeilt sind wie spätere Kurzgeschichten und Novellen des Autors, so wissen sie doch die Fesseln der Spannung um den Leser zu legen und sie erst wieder zu lösen, wenn das Buch zugeklappt wird. Gerade hier liegt aber gleichzeitig der Hund begraben: Zu schnell hat man die gut 140 Seiten durch, allzu bald steht "Der fünfte Erzengel" im Regal zwischen anderen Meistern des Horrors, hinter denen sich Grubers Werk wahrlich nicht zu verstecken braucht, und man muss sich auf die Suche nach neuem Lesestoff begeben. Doch bis es soweit ist, muss der Leser erst einmal eine wahre Achterbahn des Grauens überstehen, in welcher Gruber es brillant versteht, seine Protagonisten dem Leser näher zu bringen. Ja, er vermag es sogar, für Figuren wie etwa sein Hannibal-Lector-Äquivalent Verständnis und Mitgefühl aufzubringen. Die Motive des Schreckens, die Gruber hierbei heraufbeschwört, sind keineswegs neu, geschweige denn innovativ. Vielmehr versteht es der Autor, sie gekonnt in einem modernen Umfeld einzubetten und ihnen somit neue Perspektiven abzugewinnen.

Layout und Lektorat haben gute Arbeit geleistet, die geringe, an einer Hand abzählbare Zahl an Lektorats- und Layoutfehlern tut dem positiven Gesamteindruck keinen Abbruch. Der Preis von 12,90 Euro mag für 140 Seiten anfangs etwas hoch angesetzt wirken, rentiert sich aber für den Liebhaber düsterer Phantastik und blanken Entsetzens allemal.

Insgesamt darf "Der fünfte Erzengel" als hervorragende Storykollektion gesehen werden, die subtilen Horror mit altbewährten Sujets, einer von Geschichte zu Geschichte variierenden Prise Seelenstriptease, einem wohl dosierten Schuss österreichischen Lokalkolorits und nahezu tausend Volt Spannung verbindet. Es darf ohne schlechtes Gewissen zugegriffen werden, aber es wird empfohlen, nicht alle Geschichten auf einmal zu konsumieren, denn wie beendet Andreas Gruber sein Vorwort: "Und nun wünsche ich Ihnen viel Vergnügen mit den vorliegenden neun Geschichten. Mögen sie Ihnen den Schlaf rauben …"

Michael Höfel



Taschenbuch | Erschienen: 01. November 2004 | ISBN: 9783926126399 | Preis: 12,90 Euro | 148 Seiten | Sprache: Deutsch

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