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Der Piratenfilm hat eine interessante Geschichte hinter sich. Ähnlich wie der Sandalenfilm feierte er in den 50er Jahren einen regelrechten Boom, bevor er urplötzlich fast vollkommen von der Bildfläche verschwand. Einige Titel der 80er und 90er wie Roman Polanskis "Piraten!" oder "Die Piratenbraut" versuchten vergeblich, an den damaligen Erfolg des Genres anzuknüpfen, teilweise mit katastrophalen wirtschaftlichen Resultaten. Erst der Trilogie "Fluch der Karibik", dessen erster Teil 2003 ein überraschender Megahit wurde, gelang es, das Genre wieder aus der Versenkung zu heben. Ihr ist es wahrscheinlich auch zu verdanken, dass sich die Schweizer Medienwissenschaftlerin Aleta-Amirée von Holzen mit dem Piratenfilm einmal näher auseinandergesetzt hat.
"A Pirate's Life for Me" ist eine wissenschaftliche Arbeit, die Abenteuer- und Abenteurerkonzepte der jüngsten Piratenfilme seit 1983 vor dem Hintergrund älterer Filme und Literatur analysiert.
Die Basis der Argumentation stellt dabei dem entsprechend weniger die Figur des Piraten als die des Abenteurers als ihm übergeordnetem Figurenschema. Neben der Herleitung des Begriff aus dem Mittelalter und seiner Abgrenzung zur Figur des Helden steht dabei die These des "äußeren Zufalls bei innerer Notwendigkeit" des Abenteuers in Anlehnung an den Philosophen Georg Simmel am Anfang der Argumentation und im Mittelpunkt der Arbeit. Demzufolge konstruiert ein Abenteuer gerade durch seine scheinbare Zufälligkeit einen Sinn, wird erst dadurch zum Abenteuer, indem es mit seinem Protagonisten einen Bogen schlägt, ihm das Erleben ermöglicht ihm ein Ziel verschafft. Dabei steht der Abenteurer meist ein wenig außerhalb der Gesellschaft und zeichnet sich durch besondere Charakterzüge aus, wie etwa durch den Wandel auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn.
Mit diesen Annahmen im Hintergrund geht es an die eigentliche Analyse der sieben jüngsten Piratenfilme, der zunächst die Beschreibung des breiten Korpus an fiktionaler und nichtfiktionaler Literatur sowie vergangener Piratenfilme vorgeschaltet ist, in der einige der klassischen Schemata des Genres herausgearbeitet werden.
Im dritten und größten Teil der Arbeit geht es dann an die Analyse der modernen Filme selbst, darunter "Kapitän Dotterbart", "Piraten!", "Die Piratenbraut", "Insel der Piraten" und alle drei "Fluch der Karibik"-Filme. Über die gesamte Filmgeschichte hinweg wird dabei ein buntes Bild des Piratenabenteurers gezeichnet und verschiedene Typen herausgearbeitet, die im Genre immer wieder ihre Aufwartung machen, etwa der "böse" Pirat, der gewissenlos raubt und mordet; der "edle" Pirat, der außerhalb der bürgerlichen Ordnung steht, aber dennoch für bestimmte Werte kämpft; der "Grünschnabel", der erst über einen Piratenmentor in die Welt der Abenteuer eingeführt werden muss; oder der besonders amüsant betitelte "Perückenbösewicht", der lange, korrupte Arm des Gesetzes, der den guten Piraten an den Kragen möchte.
Sie alle werden als Abenteurer mit verschiedenen Eigenschaften beschrieben, die nichtsdestotrotz vielerlei Schnittpunkte zeigen. Und auch die geliebten Figuren der "Fluch der Karibik"-Trilogie werden nachvollziehbar und kohärent in die etablierten Schemata eingeordnet - schnell lassen sich Jack Sparrow, Will Turner, Barbossa oder Elizabeth Swann als Figuren in der Tradition des Piratenfilms und als Abenteurer begreifen.
"A Pirate's Life for Me" geht dabei wissenschaftlich sehr korrekt und sauber vor. Von der Klärung der zentralen Begriffe über die Beschreibung der Quellen bis hin zur eigentlichen Analyse bleiben kaum Fragen offen. Lediglich die Beschreibung der verwendeten Methode kommt ein bisschen zu kurz. Das Stichwort "qualitative Inhaltsanalyse" fällt, auf eine Beschreibung des Kategorienschemas wurde jedoch verzichtet, man muss mit der Darstellung der Ergebnisse vorlieb nehmen. Angesichts der ansonsten vorbildlichen Gründlichkeit der Arbeit ist dies jedoch nicht weiter schlimm.
In seiner Erkenntnis mag "A Pirate's Life for Me" zwar wenig spektakulär sein - schließlich reihen sich die modernen Filme größtenteils nahtlos in die Reihe der beschriebenen Abenteuerkonzepte ein -, einige interessante Unterschiede zum alten Piratenfilm werden jedoch herausgearbeitet. Der größte von ihnen ist die fehlende Wiedereingliederung des Piraten in die bürgerliche Gesellschaft. Wo die Protagonisten in den 50er Jahren ihr Piratendasein zum Schluss meist aufgaben, kommt diese Art der Moralisierung in modernen Filmen kaum mehr vor. An dieser Stelle wird zur Interpretation korrekterweise mit einer Veränderung der gesellschaftlichen Werte argumentiert, einer der offensichtlichsten Gründe jedoch außen vor gelassen: die Fortsetzbarkeit. Mittlerweile dient der Fortbestand des Abenteuers wahrscheinlich nicht unwesentlich auch dem Fortbestand des Profits.
"A Pirate's Life for Me" ist insgesamt eine sehr interessante, gut zu lesende und umfassende Analyse eines in neuer Popularität erblühten Genres - auch wenn der eigentliche Begriff des Genres für diese Untersuchung fast keinerlei Relevanz besitzt.
Eine bloße Affinität zum Piratenfilm wird aber wahrscheinlich leider nicht ausreichen, um Gefallen an "A Pirate's Life for Me" zu finden, denn das Buch schlägt einen für den Laien recht anspruchsvollen, wissenschaftlichen Ton an. Engagierten Filmfreunden und Kulturliebhabern sei diese in großen Teilen sehr gute Arbeit jedoch wärmstens empfohlen.