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 Ich hab die Unschuld kotzen sehen


Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Dreizehn Geschichten beinhaltet dieses kleine handliche Büchlein, von dessen Vorderseite einen ein niedliches Püppchen ansieht. Dasselbe niedliche Püppchen in demselben niedlichen Kleidchen übrigens, das einem auf der Rückseite plötzlich eher vorwurfsvoll erscheint mit seinen Wunden, blutigen Nähten und verweinten Augen mit verwischter Mascara ...

Der Stil des Autors ist sehr eigen. Die Sprache ist abgehackt, besteht aus vielen abgetrennten Sätzen, die meist die Gedankens- und Erlebenswelt des jeweiligen Protagonisten wiedergeben.

Zunächst scheinen die Geschichten, deren Inhaltswiedergabe ein sinnloses Unterfangen an dieser Stelle wäre, etwas haltlos. Zwar haben sie einen Inhalt, aber der Stil ist gewöhnungsbedürftig und manchmal fragt man sich "Was will er mir denn jetzt eigentlich sagen?". Denn trotz der Sprache, die kein Blatt vor den Mund nimmt und großzügig mit Vulgärausdrücken um sich wirft, ebenso großzügig, wie die Figuren der Geschichten mit Drogen, Alkohol, Sex oder Waffen um sich werfen, kommen zunächst mehr Fragen auf, als beantwortet werden.
Spätestens bei der dritten Geschichte erkennt man jedoch, dass die einzelnen Schicksale miteinander verwoben sind, auf die eine oder andere Weise, entweder sehr direkt und familiär, ein anderes Mal sehr zufällig, aber doch in einschneidender Weise.

Sehr schnell hat man die Kurzgeschichten der ersten 85 Seiten gelesen und wünscht sich mehr. Mehr Geschichten, mehr Schicksale, mehr Gedanken und mehr von dieser gewaltigen Sprache.

Stattdessen folgen knapp zwanzig Seiten Lyrik des Autors. Diese fünfzehn Gedichte, die meist lang sind, eher ungestüme Gedanken in eben solcher Form, hier und da durch einen Reim verbunden, hauen einen nicht gerade vom Stuhl. Sicherlich, die Inhalte sind nachvollziehbar und zeigen, ebenso wie zuvor die Geschichten, beklemmende Wahrheiten. Sie zeigen die Angst, gefühlskalt zu werden, der Resignation zu verfallen, gar die ganze Welt zu verlieren - aber im Vergleich zum kraftvollen und sehr eigenen Stil der Geschichten ist Lyrik keine Stärke des Autors, sodass sie in diesem Buch eher so wirkt, als habe man sie dort veröffentlicht, weil sie woanders keinen Raum finden würde.

Wovon Dirk Bernemann erzählt, wovon er berichten will, wozu er wach rütteln will, dazu braucht er seine harschen Worte, die unverhohlene Gewalt und Verachtung im Detail, das Stakkato seiner Sätze und das Massaker, das all diese Erzählungen formen. Doch so wirklich genial das Gesamtbild ist und so wundervoll viele Sätze in ihrer Wirkung sind, so unnötig ist eigentlich das exzessive Verwenden von Vulgärausdrücken. Sie erreichen schließlich das genaue Gegenteil von dem, was sie erreichen wollen, denn sie unterstützen nicht die verstörten, gewalttätigen und hoffnungslosen Szenen ganz "normalen" Lebens, sondern lenken von den Aussagen ab.

Anderen ist dieses Buch durchaus auch unter Beachtung vorgenannter Mängel zu empfehlen, doch man braucht selbst eine gehörige Portion Kaltschnäuzigkeit und Idealismus, Resignation und Hoffnung zugleich, um es zu mögen - und einen starken Magen!

Tanja Elskamp



Taschenbuch | Erschienen: 3. Januar 2005 | ISBN: 9783937536590 | Preis: 9,95 Euro | 117 Seiten | Sprache: Deutsch

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