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Eines Morgens nimmt Etel Adnan ihren Zeichentisch und stellt ihn auf die Terrasse unter die Pinien. Gleich gegenüber erhebt sich der Gipfel des Mount Tamalpais. Schatten fallen auf ein Blatt Papier und sie versucht, diese festzuhalten. Dies ist der Beginn einer langen und fruchtbaren künstlerischen Beziehung zwischen der libanesischen Autorin und Malerin Etel Adnan und dem Berg, dem Mount Tamalpais. Die künstlerische Auseinandersetzung mit einem Berg ist ja nicht neu, so legten schon die Werke Cezannes und Hokusais anschaulich Zeugnis ab von einer fruchtbaren Begegnung zwischen Künstler und Berg.
Das vorliegende Buch "Reise zum Mount Tamalpais" enthält neben Etel Adnans schwarzweißen Zeichnungen Gedanken, Erinnerungen und Reflexionen rund um den Mount Tamalpais, dem etwa 800 Meter hohen Berg im Norden von San Francisco. Bereits dreißig Jahre setzt die Autorin sich nun mit diesem Berg auseinander, in dessen Angesicht sie lebt, und dessen Pyramidenform für sie zum Bezugspunkt und vertrauten Zuhause wurde. In ihren Betrachtungen schildert sie ihre Eindrücke, sie erzählt von ihren Gefühlen und ihrer ganz privaten Beziehung zu dem Berg. "Er ist die wichtigste Person in meinem Leben", bemerkt sie in einem Interview.
Sie notiert auch die Geschichte des Berges, die Wunden, die in seine Erde gerissen werden, von den Tieren und Menschen, die auf ihm oder in seinem Angesicht leben. Sie erzählt von dem Kondor, der ausstirbt, und den OHanlons und ihrer Malschule am Fuß des Berges. Das Zusammenleben mit einem Berg, so schreibt sie, ist eine Reise. Von dieser Reise berichtet sie. Es ist die Reise zum Berg, um diesen Berg herum, auf den Berg und wieder herunter und in ihn hinein. Es ist nicht zuletzt die Reise zu sich selbst, in ihr eigenes Inneres, zu ihren Träumen, Visionen, Ängsten und Befürchtungen.
Das Buch schließt mit einem Nachwort der Übersetzerin Klaudia Ruschkowski.
Die in Beirut geborene Etel Adnan ist eine Reisende und sie lässt den Leser in zahlreichen Büchern an ihren Reisen teilnehmen. Ihr Vater ist ein muslimischer Syrer und ihre Mutter eine christliche Griechin. Etel Adnans Leben findet statt in Beirut, Paris, Griechenland und eben in Kalifornien, im Angesicht des Mount Tamalpais.
Die Beziehung zu diesem Berg ist innig, sein Bild begleitet sie auf all ihren Reisen. Er gehört zu ihrem Leben - sicher standhaft und stetig, aber nicht unveränderlich, ein "geografischer Ort, der zum spirituellen Entwurf" wird, ein Verbindungsglied zwischen Himmel und Erde.
Der Berg lehrt sie, die sonst eher Zeichen zu Texten setzt, sogar das Zeichnen, schwarze Spuren auf weißen Grund zu setzen in der Art japanischer und chinesischer Tuschemaler. Die Form und die Leere finden in diesen Zeichnungen ihren Ausdruck. Die Autorin selbst spricht an einer Stelle von der Fähigkeit des Berges, die Erscheinungsform der Materie zu wechseln, indem er sich zuweilen in Nebel verhüllt. Form wird Leere - Leere wird Form.
Poetisch beschreibt die Autorin ihre Reise zu dem Berg: "Die Energie der Winde nutzend, verfolgt von den hauseigenen Furien und verliebt in die blauen Augen des Pazifiks führt der Ozean zum Berg." Sie teilt offen ihre Erkenntnisse und Gedanken und versteht es, sie in eine bildhafte Sprache umzusetzen. Sie macht Zusammenhänge deutlich zwischen Malerei, Musik und Dichtung und den Träumen und sie lädt den Leser ein, teilzunehmen an ihrem inneren und äußeren Leben.
Am Ende ist sie der Berg, der Berg ist sie. Alles ist eins.
Ein wunderschönes gebundenes Künstlerbuch für Liebhaber von Etel Adnan und solche, die sie erst noch entdecken möchten!