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Die spannendsten Geschichten schreibt das Leben selbst. Das ist oft wahr, doch die tatsächliche Schreibarbeit übernimmt natürlich nicht das Leben, sondern ein Autor. Jürgen Ehlers zum Beispiel. Er hat bereits in mehreren historischen Kriminalromanen die Geschichte aufgearbeitet und wahre Fälle spannend erzählt. Sein neuestes Werk befasst sich mit einem Verbrecher, der zumindest in Hamburg und Umgebung einen hohen Bekanntheitsgrad aufweist - dem Einbrecher Justus Adolf Petersen, genannt Lord von Barmbeck, der in den 1920er Jahren die Polizei in Atem hielt.
Hamburg, 1919. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg herrscht im besiegten Deutschland große Unsicherheit: Die Inflation nimmt beängstigende Größenordnungen an, die Kriegsheimkehrer sind traumatisiert von den schrecklichen Erlebnissen an der Front, die Politik ist von ständigen Zerwürfnissen gezeichnet, und die Polizei steht der wachsenden Zahl von Überfällen, Gewaltdelikten, Volksaufständen und Einbrüchen machtlos gegenüber. In diesen chaotischen Zeiten übernimmt ein Mann das Ruder der organisierten Kriminalität in Hamburg: Justus Adolf Petersen, der mit seiner Bande die größten und spektakulärsten Raubzüge dieser Zeit durchführt. Für die ermittelnden Beamten Berger, Krohn und Jastorf gibt es zunächst keine Möglichkeit, die durch perfekte Alibis geschützten Bandenmitglieder zu überführen. Doch wo viele Menschen sich in Lügen verstricken, sind Fehler kaum zu vermeiden. Der junge Berger von der Kriminalpolizei macht sich auf die Suche nach Unstimmigkeiten - und wird fündig. Aber wird das vor Gericht Bestand haben? Ein kompliziertes Katz-und-Maus-Spiel beginnt, dessen Ausgang alles andere als sicher ist ?
Ein guter Krimi muss vor allem spannend und mitreißend sein. Ein guter historischer Krimi muss zusätzlich noch authentisch wirken und erfordert eine präzise Recherche. Dem gebürtigen Hamburger Jürgen Ehlers gelingt es, alle diese Qualitäten in "Die Nacht von Barmbeck" zusammenzuführen. In seiner ruhigen, unaufgeregten Prosa schildert er, wie Justus Adolf Petersen zum Anführer der großen kriminellen Vereinigung aufstieg, die in den 1920er Jahren als "Barmbecker Verbrechergesellschaft" - der Stadtteil Barmbek wurde früher noch mit ck geschreiben - berühmt und vor allem berüchtigt wurde. Das wirkt zunächst gemächlich, aber spätestens ab der Hälfte des Buches nimmt die Geschichte wirklich Fahrt auf und vermag auch bis zum Schluss zu fesseln. Das Ende liegt dann bereits nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, wodurch Ehlers Gelegenheit hat, mehr als ein Jahrzehnt deutscher Geschichte zu thematisieren. Und dies gelingt ihm genau so, wie man es sich wünscht: ganz nebenbei und nicht aufgesetzt. So ist das Zeitporträt, das der Autor zeichnet, detailreich, nachvollziehbar und atmosphärisch dicht. Selbst an Kleinigkeiten, wie zum Beispiel die Spitznamen von Werkzeugen wie "Knabbergeschirr", hat Ehlers gedacht. Auch wenn man vor der Kriminalgeschichte an sich wegen einiger Längen nicht von Beginn an den Hut zieht, so beeindruckt dann zumindest die zugespitzte Dramatik des letzten Drittels, ab dem man "Die Nacht von Barmbeck" wirklich nicht mehr zur Seite legen kann. Vielleicht ist dieser Roman nicht Ehlers? bester, aber lesenswert ist er allemal - nicht zuletzt weil Leser von
"Neben dem Gleis" hier die Kindheit des späteren Kommissars Horst Berger miterleben dürfen. Freunde von
"Mitgegangen" erfahren, was Wilhelm Berger vor und nach seiner Zeit in Düsseldorf in Hamburg erlebt. Es gibt also viele Gründe, "Die Nacht von Barmbeck" zu lesen, aber besonders diesen: Ehlers schafft es, Fiktion und Geschichte so gekonnt zu verquicken, dass man gar nicht mehr merkt, wo eigentlich die Realität aufhört und die Fantasie beginnt.
Fazit: Packender Geschichtskrimi, der zwar etwas Zeit braucht, um sich zu entfalten, dann aber vollends überzeugt.