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Jane Eyre ist seit ihrer Kindheit auf die Wohltätigkeit anderer angewiesen. Als Waise kam sie zu ihrer Tante, die sie nie wie ihr eigenes Kind pflegte, sondern immer kalt und herablassend behandelte und wegsah, wenn Jane von ihren Stiefgeschwistern geschlagen und verspottet wurde. Trotz aller Demütigungen und Traumata, die Jane erleiden muss, verliert sie weder ihren Stolz noch ihr Selbstbewusstsein. Diese Eigenschaften helfen ihr auch, als ihre Tante sie auf eine Waisenschule schickt. Auch dort hat sie es nicht immer leicht, aber dank ihrer Gelehrigkeit, ihrem Fleiß und ihrer Ehrlichkeit schafft sie es, nicht nur akzeptiert, sondern auch anerkannt zu werden. Acht Jahre verbringt sie an dieser Schule - erst als Schülerin, dann als Lehrerin.
Doch Jane wird von einer inneren Rastlosigkeit angetrieben. So gibt sie eine Stellenanzeige auf und bekommt schon bald eine Anstellung als Gouvernante. Sie reist nach Thornfield Hall, dem Landsitz ihres neuen Arbeitgebers Edward Rochester. Dieser erscheint ihr abweisend, launisch und herrisch. Oftmals geraten beide im Streit miteinander, denn auch wenn Jane tadellose Manieren erlernt hat, kann sie ihren Stolz nicht vergessen und ihre spitze Zunge wird des Öfteren zum Ärgernis für Rochester. Trotz - oder vielleicht gerade wegen - der häufigen Auseinandersetzungen kommen sich beide näher und entwickeln leidenschaftliche Gefühle füreinander. Schließlich hält Rochester um Janes Hand an, obwohl sie arm ist, zwanzig Jahre jünger als er und keine Familie hat. Jane ist überglücklich, bis sie herausfindet, dass ihr Verlobter bereits eine geisteskranke Ehefrau hat. Nun muss sie sich entscheiden, ob sie ihrem Herzen folgt oder ihren Moralvorstellungen ...
"Jane Eyre" ist der bekannteste Roman von Charlotte Brontë, die die älteste der berühmten Brontë-Schwestern war. Es ist die fiktive Autobiographie einer äußerlich schwach erscheinenden, aber innerlich ungemein starken Frau, die die ihr zugewiesene Rolle in der Gesellschaft in Frage stellt und ihre eigenen Wege geht, wobei sie stets nach Anerkennung und Liebe hungert. Zahlreiche Generationen haben dieses Buch gelesen und geliebt - völlig zu Recht.
Denn "Jane Eyre" ist ein mitreißender, romantischer und amüsanter Klassiker der englischen Literatur. Die Protagonistin ist nicht besonders hübsch oder reich und wächst dem Leser daher umso schneller ans Herz, da man sich nur allzu leicht mit ihr identifizieren kann und auf jeder Seite mit ihr leidet, sich freut, lacht und weint. Besonders sympathisch erscheint Jane auch dadurch, dass sie nie aufgeben will oder in Selbstmitleid zerfließt. Sie kämpft und schöpft immer neue Hoffnung und dies ist ein Grund dafür, warum das Lesen dieses Romans immer wieder Balsam für die Seele ist. Auch die anderen Figuren, allen voran Rochester, sind mit viel Leben erfüllt und rufen in dem Leser unwillkürlich Abneigung, beispielsweise im Falle von Janes Stiefmutter, oder Zuneigung, wie bei Rochester, hervor.
Zwar kann man in "Jane Eyre" durchaus leise Kritik an der damaligen Gesellschaft, insbesondere der Rolle der Frau, feststellen und auch die Religion kommt nicht immer glimpflich davon, doch im Vordergrund steht immer Jane, ihre Entwicklung und ihr Gefühlsleben, das der Leser sehr intensiv erlebt. Der Unterhaltungswert ist um einiges größer als der literarische Wert und trotz der Beliebtheit dieses Klassikers sollte der Leser mit nicht allzu großen Erwartungen an Brontës Roman gehen, denn die Autorin steht nicht auf einer Stufe mit beispielsweise Charles Dickens.
Trotzdem werden Skeptiker, die "Jane Eyre" für einen veralteten und kitschigen Hausfrauenroman halten, vermutlich positiv überrascht sein. Denn die Figur Jane Eyre klingt immer noch herrlich frisch und frech, sodass es eine wahre Freude ist, ihren Dialogen zu folgen; Jane muss sich nicht hinter modernen Romanheldinnen verstecken, auch wenn sie ab und an ein wenig zu pathetische Reden schwingt.
Zudem weist der Roman auch wunderbare Landschaftsbeschreibungen und einige Schauerelemente auf, die die Atmosphäre um eine weitere Ebene erweitern. Nicht zuletzt aber besticht der Roman durch sein Ende, welches genau den richtigen Mittelweg zwischen Märchen und Realismus gefunden hat und den Leser rundum befriedigt zurücklässt.
Die Übersetzung von Helmut Kossodo ist größtenteils gelungen und fängt den besonderen Charme der Erzählkunst von Charlotte Brontë gut ein, und auch wenn die Sprache auf den ersten Blick etwas altbacken wirkt, ist sie doch sehr zeitlos und transportiert perfekt Gefühle und Bilder.
Ebenfalls gelungen ist ein sich an den Roman anschließender Essay von Norbert Kohl, der "Jane Eyre" nochmal aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet und interessante Informationen und Interpretationen bietet, die dieses wunderbare Buch abrunden.